Geschichte des Reisens
Thomas Cook: Begründer des Massentourismus
Hinter dem Namen Thomas Cook steckte lange Zeit ein Tourismus-Multi mit Milliardenumsätzen. Angefangen hatte aber alles mit einer ganz anderen Idee: Der englische Prediger Thomas Cook wollte die Menschen vom Alkoholismus befreien und begründete nebenbei die Tourismusindustrie.
Von Kerstin Hilt und Andrea Wengel
Zugfahrt mit Schinkenbrot
Anfang Juli 1841 kennt das englische Städtchen Leicester nur ein Thema. Seit Tagen prangt im Schaufenster von Thomas Cooks Schreibwarenladen, ganz in der Nähe des Bahnhofs, ein großes Plakat. Ein Ausflug in die Nachbarstadt Loughborough wird darauf angepriesen: Hin- und Rückfahrt per Zug für nur einen Shilling, Schinkenbrot und Tee inklusive. Auch eine Blaskapelle soll spielen.
Die Nachfrage ist immens. Schließlich gibt es Eisenbahnen erst seit 15 Jahren, die meisten Engländer sind noch nie damit gefahren. Will man die nächste Ortschaft besuchen, machen sich arme Leute zu Fuß, etwas Wohlhabendere mit der Pferdekutsche auf den Weg – meist mit einem klaren Ziel vor Augen. Ein Abstecher aus reiner Neugier, sozusagen als Urlaubstag: Das hört sich für die meisten noch völlig fremd an. Wenn auch sehr verlockend.
Thomas Cook (1808-1892)
Allerdings: Um Urlaub geht es Thomas Cook nicht. In Loughborough findet ein Protestmarsch der Abstinenzbewegung statt. Cook, im Nebenberuf baptistischer Prediger, will möglichst viele Gleichgesinnte dorthin mitnehmen. Alkohol ist auf der Fahrt dann auch streng verboten. Trotzdem verkauft er 540 Tickets und das nicht nur an Tiefgläubige. Da dämmert Thomas Cook, dass er auf eine Goldader gestoßen ist.
Schwieriger Start
Unternehmensgründer, ja Wirtschaftspionier zu werden – das hatte man Thomas Cook wahrlich nicht an der Wiege gesungen. In arme Verhältnisse wird er hineingeboren. Sein Vater stirbt, als Thomas drei Jahre alt ist. Schon mit zehn schlägt er sich als Gehilfe eines Gärtners durch. Dessen Waren muss er oft selbst auf dem Markt anpreisen: Sein Chef ist meistens zu betrunken.
Reiz des Neuen: Dampflok von 1840
Bereits von der Mutter religiös erzogen, kommt nun noch der Hass auf den Alkohol dazu. Parallel zu einer Tischlerlehre lässt sich Thomas Cook zum Laienprediger ausbilden und wird bald zu einem der bekanntesten Vertreter der Abstinenzbewegung in ganz Mittelengland. Nach Feierabend und am Wochenende reist er von Dorf zu Dorf. Sich in der Fremde zurechtzufinden und sich gut vermarkten zu können: Das lernt er schon jetzt.
Geburt der Pauschalreise
Nach Cooks erstem großem Coup von 1841, der Schinkenbrot-Fahrt nach Loughborough, kommt der organisierte Eisenbahnausflug schnell in Mode. Vor allem die Eisenbahnunternehmen selbst sind es, die darin ihre Chance wittern.
Doch Thomas Cook ist Profi: Er merkt schnell, dass seine Kunden auch einen Reiseleiter wünschen und gewisse Extras. Das alles organisiert er mustergültig. Jedes Ausflugsziel hat er vorher genauestens erkundet, während der Reise ist ihm keine Nörgelei zu lästig, kein Wunsch zu unwichtig.
Ganz England ist im Schottlandfieber
Glück hat er allerdings auch. Als 1847 mit Königin Viktorias Reise nach Schottland in Großbritannien ein wahres Schottlandfieber ausbricht, ist Cook zur Stelle: Seit 1846 bietet er organisierte Reisen dorthin an. Anfahrt, Unterkunft, Verpflegung und Ausflüge sind im Preis inbegriffen – heute nennt man das Pauschalreise.
Cook, ein Einzelkämpfer ohne viel Eigenkapital, geht damit allerdings ein großes Risiko ein. So wird ein Teil der Route effektvoll mit dem Dampfschiff zurückgelegt. Dessen Betreiber hat sich nur auf Cooks Preisvorstellungen eingelassen, weil der ihm schon im Vorhinein fest zugesichert hatte, mindestens 1000 Tickets abzunehmen.
Unternehmer aus Überzeugung
Die Schottlandreisen werden ein Erfolg – Cook kann expandieren. Dabei kommt ihm auch zugute, dass Großbritanniens Wirtschaft boomt. Bislang war das Reisen dem Adel und der Wissenschaft vorbehalten. Nun entsteht eine wohlhabende Mittelschicht, für die eine Ferienreise Abenteuer und Statussymbol zugleich bedeutet.
Und Cook weiß, was sein bürgerliches Publikum wünscht: Legendär werden etwa seine "Guide Books", praktische Reisehandbücher für die Kunden, in denen alles Wissenswerte über Reiseziel, Land und Leute zusammengefasst ist. Wieder zu Hause, kann man mit dem Buch in der Hand den Daheimgebliebenen stolz Bericht erstatten – und macht so kostenlos Werbung.
Bei alldem verfolgt Cook aber noch immer hehre Ziele. Selbst ist er nur wenige Jahre zur Schule gegangen, seine Kunden aber will er bilden, ihren Erfahrungshorizont erweitern. Und schließlich, da ist sich der Prediger in ihm sicher, ist eine Reise in jedem Fall ein besserer Zeitvertreib als eine gottlose Flasche Gin.
In seiner Heimatstadt Leicester spendet er außerdem für die Armen und lässt in mehreren Hungerwintern tonnenweise Kartoffeln aus Schottland heranschaffen. Er verkauft sie zwar – aber zum Einkaufspreis.
Von Großbritannien in die ganze Welt
1861, in seiner Heimat schon längst eine Berühmtheit, wagt Cook schließlich den Sprung über den Ärmelkanal und bietet eine Paris-Reise an. 1865 beginnt er mit seinen legendären Nilkreuzfahrten, 1872 startet er eine 222-tägige Weltreise.
Bald hat er Kunden aus ganz Europa – und die kommen sich manchmal ganz schön ins Gehege: An Bord der Kreuzfahrtschiffe sind es offenbar meist die Deutschen, die sich die besten Liegestühle sichern. Die Engländer, so die gängige Klage, würden unter Deck verdrängt. Ein Handtuchkrieg wie heute auf Mallorca.
Thomas Cook hat sich da allerdings schon längst aus dem Tagesgeschäft zurückgezogen. Seit 1865 führt sein Sohn John Mason Cook das Büro in London – mit ebenso großem Geschäftssinn wie sein Vater, dafür aber mit deutlich weniger moralischen Skrupeln.
1878 drängt er den Gründer aus dessen eigener Firma und zahlt ihm fortan nicht mal eine Gewinnbeteiligung, sondern nur eine überschaubare Rente. "Thomas Cook and Son" aber wird bald zum Marktführer und Innovationsmotor der gesamten Branche.
In Leicester, dem Ausgangspunkt seiner Karriere, bleibt Thomas Cook dafür bis zu seinem Tod 1892 ein geachteter Mann. Und ganz kann er die Finger dann doch nicht vom Reisegeschäft lassen: Gemeinsam mit seiner Frau führt er im eigenen Haus ein Hotel für Abstinenzler und andere Strenggläubige.
Mit Cook um die Welt
Das Aus für den Touristikkonzern
Der Niedergang des Touristikkonzerns, der noch mehr als 120 Jahre lang Cooks Namen trägt, kommt schleichend. 2011 macht die Chefetage der "Thomas Cook Aktiengesellschaft" mit überhöhten Boni von sich reden. 2012 versuchen die britischen Banken das Unternehmen zu retten. Nicht zuletzt dadurch sitzt das Unternehmen auf einem Schuldenberg in Milliardenhöhe.
Davon erholt sich die "Thomas Cook Aktiengesellschaft" nicht wieder, zu hoch ist der Druck der Branche. Die Konkurrenz durch Billiganbieter, die mit ihren Dumpingpreisen Kunden an sich ziehen, wächst. Statt Pauschalreisen buchen Kunden zudem ihre Reisen zunehmend online, auf ihre individuellen Wünsche maßgeschneidert.
Dazu kommt die Politik – neben Deutschland ist Großbritannien der wichtigste Absatzmarkt für Thomas Cook. Dort aber dämpfen die Wirrungen rund um den Brexit die Reiselust die britischen Kunden spürbar. Ein umfangreicher Rettungsplan mit Investoren im Spätsommer 2019 scheitert. Im September 2019 schließlich, nach 178 Jahren, meldet der älteste Reiseveranstalter der Welt Insolvenz an. Es ist das Ende einer großen Ära.
(Erstveröffentlichung: 2012. Letzte Aktualisierung: 27.09.2019)
Quelle: WDR / SWR