Organisierte Kriminalität
"Manche Ermittler wollten sich ihren Ärger von der Seele reden" – Interview mit Ludwig Kendzia
Gegen die italienische Mafia zu ermitteln, ist extrem schwer. Umso überraschter waren zwei MDR-Reporter, als sie erfuhren, dass vor 20 Jahren ein erfolgversprechendes Ermittlungsverfahren gegen die Erfurter 'Ndrangheta vorzeitig eingestellt wurde. Die Journalisten gingen dem Fall nach und stießen mit ihrer Recherche schließlich einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss in Thüringen an. MDR-Reporter Ludwig Kendzia gehörte zum Recherche-Team des MDR und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
Von Beate Krol
Planet Wissen: Ihre Recherche über die Anti-Mafia-Operation "Fido" hat bundesweit für Aufsehen gesorgt, obwohl sie bereits 20 Jahre zurückliegt. Wie kamen Sie dazu, den Fall überhaupt aufzugreifen?
Ludwig Kendzia: Ermittlungsoperationen gegen die italienische Mafia sind in Deutschland in der Regel große Staatsgeheimnisse. Das Bundeskriminalamt (BKA) und die Landeskriminalämter (LKA) lassen sich da ungern in die Karten schauen. Daher war für uns allein der Hinweis, dass es um die Jahrtausendwende ein solches Verfahren in Thüringen gegeben haben soll, Grund genug, dem nachzugehen.
Worum ging es bei "Fido"?
Die Operation richtete sich gegen acht Männer, bei denen der begründete Verdacht bestand, dass sie der `Ndrangheta angehörten und in Erfurt eine Geschäftsstruktur in Form von Gastrobetrieben aufgebaut hatten, um Drogengelder zu waschen.
Die ersten Hinweise hatte es Mitte der 1990er-Jahre gegeben. Im Jahr 2000 ordnete die Staatsanwaltschaft Gera dann die Ermittlungen an.
Wann war Ihnen klar, dass der Fall ziemlich brisant ist?
Wir haben sehr früh von Beamten, die an den Ermittlungen beteiligt waren, erfahren, dass die Operation offenbar zu einem Zeitpunkt eingestellt wurde, wo eigentlich hätte weiter ermittelt werden müssen. Darüber sind wir gestolpert. Als wir dann noch herausgekriegt haben, dass es dem BKA und dem LKA Thüringen gelungen war, einen Beamten unter falscher Legende in die Erfurter Mafiazelle einzuschleusen, war klar, dass es eine Story ist.
Sie haben Ihre Rechercheergebnisse zwei Jahre später in mehreren Artikeln und der ARD-Dokumentation "Mafia-Kolonie Ostdeutschland – Der blinde Fleck der Deutschen Einheit" verarbeitet. Was haben Sie über das Ende der Fido-Ermittlungen letztlich herausfinden können?
Den genauen Grund konnten wir nicht hundertprozentig klären. Aber es scheint zu einem Zerwürfnis zwischen dem BKA, der Staatsanwaltschaft in Gera und der Thüringer Generalstaatsanwaltschaft gekommen zu sein, nachdem der verdeckte Ermittler zu einer Reise nach Italien zu einer Hochzeit einladen worden war. Die Behörden hatten anscheinend unterschiedliche Vorstellungen davon, wie der Beamte zu schützen sei, woraufhin das BKA den verdeckten Ermittler abzog. Was wir nicht klären konnten, ist, warum auch alle anderen Operativmaßnahmen abgebrochen worden sind wie beispielsweise Observation und Telekommunikationsüberwachung.
Das heißt, die Erfurter Mafiazelle konnte nach dem Abbruch der Fido-Operation wieder ungestört ihren Geschäften nachgehen?
Ja, das Verfahren richtete sich im Kern gegen acht Männer. Gegen die wollte man strafrechtlich vorgehen und sie tatsächlich auch anklagen vor Gericht. Aber dazu ist es dann eben nicht mehr gekommen.
Sie haben im Lauf Ihrer Recherche diese ehemaligen Beschuldigten in Deutschland und Italien tatsächlich ausfindig gemacht. Wie kommt man als Journalist an all diese Informationen?
Letztlich ist es ganz klassisch so, dass man am Anfang sagt: ˈWen haben wir alles an potentiellen Quellen?ˈ und eine Liste an Personen macht, die man dann anfängt abzutelefonieren und zu treffen. Manche Quellen kannten wir schon über viele Jahre. Dazu kamen Recherchen in Grundbuchakten und im Handelsregister. So sind wir Stück für Stück an Informationen gekommen, die uns zu weiteren Quellen und weiteren Informationen geführt haben. Bei der Fido-Operation kam hinzu, dass es in der Frage des Abbruchs sehr unterschiedliche Meinungen gegeben hatte. Da wollten sich manche Ermittler auch ihren Ärger von der Seele reden oder sie fanden, dass die Sache doch mal ans Licht kommen muss.
Rechercheergebnisse müssen gerichtsfest sein, bevor sie veröffentlicht werden können. Wie haben Sie sichergestellt, dass die Informationen Ihrer Quellen tatsächlich stimmen?
Das ist tatsächlich immer etwas heikel. Bei dieser Recherche hatten wir das große Glück, dass wir sehr viele Quellen erschließen konnten, weil wir zu viert waren und viel Zeit hatten. Manchmal haben wir bis zu vier Quellen zu einer einzelnen Information befragt. Auch Verifikationsquellen waren für uns sehr wichtig. Das sind Leute, die selber niemals etwas über Ermittlungen erzählen oder ein Dienstgeheimnis verraten würden, die aber sagen: ˈWenn du mir was erzählt, ordne ich dir das ein.ˈ Und natürlich haben auch die Ermittlungsunterlagen sehr geholfen.
Wie gefährlich war die Recherche?
Die Recherchen waren bis zu dem Zeitpunkt, an dem wir die Schreiben zur Stellungnahme rausgeschickt haben, so klandestin (Anm.: geheim gehalten), dass niemand etwas mitbekommen hat. Auch unsere zwei Wochen in Südkalabrien waren so gut vorbereitet, dass wir uns relativ sicher bewegen konnten. In San Luca, dem Herkunftsort der Erfurter Mafiazelle, konnten die Mafia-Familien zwar mitbekommen, dass das deutsche Fernsehen da war, aber weil wir mit den Carabinieri unterwegs waren und kein deutsches Auto hatten, konnten sie aus dem Kennzeichen keine Rückschlüsse ziehen.
Wie haben Sie sichergestellt, dass Ihre Quellen anonym bleiben?
Die Quellengespräche haben immer persönlich stattgefunden. Das ist bei allen investigativen Recherchen das Beste. Die andere Kommunikation läuft verschlüsselt und natürlich verschlüsseln wir auch unsere Festplatten und Sticks.
In der Dokumentation tauchen Ihre Namen schließlich auf. Ist das nicht sehr riskant?
Man muss wissen, dass italienische Mafia-Gruppen ein großes Interesse daran haben, als vermeintlich einfache italienische Gastronomen ihren Geschäften nachzugehen. Würde uns tatsächlich etwas passieren, würde das natürlich die Aufmerksamkeit der Ermittlungsbehörden auf sie ziehen. Und das wollen sie nicht. Deshalb haben wir eigentlich keine Angst, dass uns etwas passiert. Respekt ja, aber Angst nicht. Trotzdem haben wir natürlich Schutzvorkehrungen getroffen.
Sie haben mit Ihrer Fido-Recherche viel erreicht und waren auch als Sachverständige Zeugen vom Untersuchungsausschuss geladen. Wird es noch weitergehen oder ist der Fall für Sie und Ihre Kolleg*innen jetzt erledigt?
Wir werden auf jeden Fall weiter zur Fido-Operation recherchieren und schauen, ob wir noch mehr herausbekommen. Uns interessiert zum Beispiel, ob es Folgeverfahren in anderen Bundesländern gab. Das bleibt eine Frage, die uns beschäftigt.
Dem Fido-Investigativ-Team gehörten neben Ludwig Kendzia auch Axel Hemmerling und Margherita Bettoni (beide MDR) und David Klaubert (FAZ) an.
Quelle: SWR | Stand: 16.02.2022, 17:00 Uhr