Frühe Faszination für Leichtbau
"Vom Herzen her bin ich Gestaltsucher und manchmal auch Gestaltfinder, der sich der Unvollkommenheit seines Tuns und seiner Produkte bewusst ist. Die gesuchte Idealgestalt sehe ich nur mit dem inneren Auge, die Realisation ist meist weit davon entfernt... Ich versuche, Natur zu verstehen, auch wenn ich eingesehen habe, dass Natur wohl nie von einem Lebewesen, das selbst ein Objekt der Natur ist, verstanden werden kann." (Frei Otto über seine Arbeit)
Am 31. Mai 1925 wurde Frei Otto im sächsischen Siegmar geboren. Er wuchs in einem kreativen Umfeld auf, sein Vater war Bildhauer und Steinmetz. Beide Eltern waren Mitglied im "Deutschen Werkbund", einer Vereinigung von Künstlern und Industriellen, die der Einförmigkeit von Massenprodukten mit handwerklicher Kultur und neuen Designkonzepten entgegenwirken wollten.
Frei Otto war schon als Junge vom Segelfliegen und Modellbau begeistert. Vor allem interessierten ihn dabei die leichten, über Rahmen gespannten Membrankonstruktionen der Flugkörper. Diese Begeisterung sollte noch großen Einfluss auf sein späteres Werk haben.
Durchstarten in den Nachkriegsjahren
1943 begann Frei Otto an der Technischen Hochschule Berlin Architektur zu studieren. Das Studium konnte er allerdings erst 1952 abschließen. Dazwischen lagen Krieg und französische Kriegsgefangenschaft, in der er – als Lagerarchitekt – seine ersten konstruktiven Planungen durchführte.
In den frühen Nachkriegsjahren inspirierten ihn auf einer Studienreise durch Amerika Architekten wie Ludwig Mies van der Rohe und dessen Architektur-Maxime "Weniger ist mehr":
1955 entwarf Frei Otto drei Membrankonstruktionen für die Bundesgartenschau in Kassel, mit denen er in der Fachwelt zum ersten Mal großes Aufsehen erregte. 1967 folgte der Bau des deutschen Pavillons auf der Expo in Montreal, der zum Meilenstein der Architekturgeschichte wurde.
Frei Ottos charismatisches Expo-Zelt aus dem Jahr 1967
Beginn der Leichtbau-Ära
Die imposante Seilnetzkonstruktion faszinierte Expo-Besucher wie Architekten auf der ganzen Welt und wurde zum Urtyp einer neuen Generation von Dachkonstruktionen. Die Stuttgarter Architekten Behnisch und Partner, die sich 1967 mit einem Entwurf für den Bau des Olympiastadiondachs in München bewarben, ließen sich dabei von Frei Ottos charismatischem Expo-Zelt inspirieren.
Doch die Umsetzung dieses Entwurfes drohte zu scheitern – nicht zuletzt wegen der Größe der Fläche, die überspannt werden sollte.
Nur gemeinsam mit Frei Otto und den Ingenieuren des Büros Leonhardt und Andrä wurde eine Möglichkeit gefunden, das Mammutprojekt in Sachen Leichtbau zu realisieren. Die Dachfläche wurde in viele sattelförmig gekrümmte Netze unterteilt, die zur Abstützung und gegenseitigen Kopplung mit Randseilen eingefasst wurden.
Damals ein visionärer Entwurf: die Überdachung des Münchener Olympiastadions
Die Natur als Vorbild
Frei Otto nahm sich die Natur zum Vorbild für seine Werke. Seine Entwürfe und Konstruktionen entstanden aus Formen, die sich in der Natur von selbst ergeben. Sie sind damit nicht nur ästhetisch reizvoll, sondern auch unter ökonomischen Gesichtspunkten äußerst effizient.
Für die Formfindung experimentierte Frei Otto auch noch im Hightech- und Computerzeitalter am liebsten mit kleinen Modellen, mit denen er natürliche Formbildungen einfach ausprobieren konnte – zum Beispiel mit Seifenhäuten oder Hängestrukturen.
Bis zum Schluss blieb Frei Otto Visionär. Für den neuen Stuttgarter Hauptbahnhof, der Ende 2025 fertig werden soll, entwarf er ein spektakulär-futuristisch anmutendes unterirdisches Dach.
Am 9. März 2015 starb Frei Otto mit 89 Jahren in Warmbronn.
Quelle: SWR | Stand: 06.06.2020, 11:00 Uhr