Die ersten Diven
Die ersten Diven aber waren Männer. Das mag aus heutiger Sicht irritierend klingen, aber das "Diventum" entzündete sich an den außergewöhnlichen Stimmen. Und als sich die Oper im 18. Jahrhundert zum unangefochtenen Höhepunkt des kulturellen Lebens emporschwang, waren es Männer, die die außergewöhnlichsten Stimmen hatten: die Kastraten.
Der chirurgische Eingriff muss ihre Stimme in einer Weise verändert haben, die man sich kaum noch vorstellen kann. Die zeitgenössischen Beschreibungen passen auf keine Stimme unserer Zeit. Zwar gibt es Tonaufnahmen von einem einzigen, dem letzten Kastraten Alessandro Moreschi, aber die stammen aus den Jahren 1902 bis 1904 und sind dementsprechend unzulänglich.
Man weiß aber von den großen Kastraten, dass sie extrem versierte und virtuose Musiker waren, die aus ihrem besonderen Klang und ihrer gut geschulten Technik einen überwältigenden Kunstgenuss zaubern konnten.
Als die Kastraten zu Beginn des 19. Jahrhunderts von den Bühnen verschwanden, hatten es die Damen, die jetzt wegen ihrer hohen Stimmen an deren Stelle treten mussten, sicher nicht leicht. Aber die Operngeschichte rollte weiter, die Komponisten schrieben neue Partien für die neuen Sängerinnen – und so war der Weg frei für die ersten weiblichen Diven.
Der Gesang von Kastraten wie Farinelli galt als überwältigender Kunstgenuss
Maria Callas & Co
Die Diven des 20. Jahrhunderts führten diese Tradition zunächst mit Erfolg fort. Namen wie Geraldine Farrar, Rosa Ponselle, Lily Pons, Emmy Destinn, Luisa Tetrazzini und Amelita Galli-Curci sind heute sicher nur noch dem Kenner präsent. Aber zu ihrer Zeit – in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts – waren sie allgegenwärtig und wurden beinahe kultisch verehrt.
Als die 1912 geborene Magda Oliviero in den 1970ern mit mehr als 60 Jahren auf die Bühne zurückkehrte, drängte sich das aufgeregte Publikum am Orchestergraben, um sie sehen und ihre Nähe spüren zu können. Ihre Aura des Außergewöhnlichen hatten die Diven nicht verloren.
Und dennoch schien sich ihre Ära nach Stars wie Maria Callas, Renata Tebaldi, Joan Sutherland und Elisabeth Schwarzkopf langsam dem Ende zuzuneigen.
Nicht dass es nach ihnen keine großen Sängerinnen mehr gegeben hätte. Aber der Kult schien lange Zeit verblasst. Stars wie Cecilia Bartoli werden auch von ihren Fans verehrt – aber sie machen kaum Schlagzeilen, geben sich nicht exzentrisch, schwelgen nicht in übertriebenem Luxus und werden nicht von durchgedrehten Fans auf Schritt und Tritt verfolgt. Diese zweifelhafte Ehre kommt heute eher Popstars oder Schauspielern zu.
Einer der Gründe ist sicherlich, dass die Oper in puncto Breitenwirkung längst von Film und Popmusik abgehängt worden ist. Aber auch die Berufsauffassung der meisten Opernsänger hat sich gewandelt. An Stelle der unbedingten Originalität ist die Zuverlässigkeit getreten.
Star ohne Allüren: Cecilia Bartoli
Die erste Diva des 21. Jahrhunderts
An die großen Diven der Oper knüpft im 21. Jahrhundert Anna Netrebko an. Neben ihren Qualitäten als Sängerin sorgten vor allem ihr Sexappeal, ihre offene Art und ihr Geschick bei der Selbstvermarktung dafür, dass sie zum Liebling der Medien und zu einem Star der Klassikszene wurde.
Einigen Klassikliebhabern mag der Starrummel um ihre Person zwar ein Dorn im Auge sein, aber die Sängerin sorgte unbestritten für einen Popularitätsschub der Oper. Auch notorische Opern-Muffel lassen sich von Netrebko verzaubern.
Ihre Alben "Opera Arias" (2003) und "Sempre Libera" (2004) landeten in Deutschland in den Pophitparaden. Und ihr Konzert mit Plácido Domingo und ihrem regelmäßigen Duett-Partner Rolando Villazón zwei Tage vor dem Finale der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 wurde in alle Welt übertragen. Es war das bis dato meistgesehene Klassikkonzert aller Zeiten.
(Erstveröffentlichung: 2003. Letzte Aktualisierung: 06.06.2018)
Quelle: WDR