Afghanistan: deutsch-afghanische Beziehungen

Afghanistan

Die deutsch-afghanischen Beziehungen

Deutsche in Afghanistan werden oft zur Zielscheibe von Aufständischen und Taliban, dennoch genießen sie ein außergewöhnlich hohes Ansehen. In den Deutschen wird große Zuverlässigkeit gesehen – und sie sind seit fast 100 Jahren Partner.

Von Martina Frietsch, Kerstin Zeter

Der erste diplomatische Kontakt

Deutsche sind in Afghanistan beliebt. Teilweise aus Gründen, die nicht immer nachvollziehbar sind: So glauben manche Afghanen zum Beispiel daran, dass Deutsche und Afghanen im selben arischen Urstamm ihre Wurzeln haben, doch dafür gibt es keinerlei Belege. Viel wichtiger jedoch dürften die bereits mehr als 100-jährigen Beziehungen für die entgegengebrachte Freundschaft sein.

Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts nahm Deutschland für Afghanistan eine besondere Stellung ein. Deutschland hatte schon damals ein geopolitisches Interesse an Afghanistan. Das hatten viele andere Länder auch, doch Deutschland erhob keinerlei koloniale Ansprüche, sondern war an einem gleichberechtigten Bündnis mit Afghanistan interessiert.

Diese Haltung fand natürlich Beachtung. Der erste diplomatische Kontakt wurde 1915 hergestellt, als die Expedition von Oskar von Niedermayer und Werner von Hentig in Kabul eintraf, um Emir Habibullah davon zu überzeugen, Britisch-Indien und Russland den Krieg zu erklären. Doch der Herrscher lehnte ab.

Wirtschafts- und bildungspolitische Kontakte

Dennoch: Dieser erste, gleichberechtigte Kontakt legte den Grundstein für die folgenden deutsch-afghanischen Missionen. 1921 reiste eine afghanische Abordnung nach Deutschland, um Verträge mit zahlreichen Firmen zu schließen, und bereits 1923 wurde die deutsch-afghanische Handelsgesellschaft gegründet.

Ein reger Austausch zwischen beiden Ländern begann – auch auf dem bildungspolitischen Sektor. So wurde etwa in Afghanistan die deutsche Nejat-Schule gegründet, die auch spätere Staatspräsidenten wie Mohammad Yusof, Samad Hamed und Barak Karmal besuchten. Deutsche Lehrer unterrichteten dort bis 1984.

In der Weimarer Republik waren der afghanische Präsident Amanullah und der ägyptische König Faruk die einzigen Staatsoberhäupter, die das weitgehend isolierte Berlin besuchten und somit ein Zeichen setzten.

Besuch Amanullahs in Berlin: Der König Amanullah bei Reichswehrmanövern am Scherenfernrohr.

Besuch Amanullahs in Berlin

Die Wirtschaftskontakte wurden enger, und so verwundert es nicht, dass Ende der 1930er-Jahre bereits 70 Prozent der afghanischen Industrieausrüstung aus Deutschland kamen und deutsche Firmen wie Siemens die Infrastruktur in Afghanistan mit aufbauten. Die deutsche Lufthansa errichtete 1937 erstmals eine westliche Flugverbindung zwischen Berlin und Kabul.

Entwicklungshilfe

Während des Zweiten Weltkrieges hielten die beiden Länder Kontakt. Afghanistan, das in diesem Konflikt streng neutral blieb, weigerte sich sogar, die 180 Deutschen, die im Land lebten, an die Alliierten auszuliefern. Dies widersprach – ähnlich wie im Fall Osama Bin Laden – den Prinzipien afghanischer Gastfreundschaft. Und so einigte man sich zwar darauf, dass die Deutschen ausgewiesen wurden, sicherte ihnen aber freies Geleit.

Teile der afghanischen Elite standen im Übrigen der nationalsozialistischen Rassenlehre nicht ablehnend gegenüber, sahen sie sich doch als die authentischen Nachkommen des arischen Volkes, dessen Reich Ariana auf afghanischem Territorium begründet worden sei.

So verwundert es nicht, dass die engen Kontakte gleich mit Ende des Krieges wieder aufgenommen wurden. Vor allem der bildungspolitische Aspekt wurde ausgedehnt, und es entstanden wichtige Universitätspartnerschaften und ein Goethe-Institut. In Hamburg entwickelte sich die größte Gemeinde von Exil-Afghanen in Europa.

Auch in der Entwicklungspolitik arbeitete man eng zusammen. Afghanistan war nach Indien und Ägypten Ende der 1970er-Jahre der drittgrößte Empfänger deutscher Entwicklungshilfe-Gelder. Das Paktia-Projekt, in dem deutsche Experten eine ganze Provinz aufbauten und modernisierten, ist bis heute eines der größten deutschen Projekte.

Auch die ehemalige DDR nahm in Afghanistan viele Aufgaben wahr. So entstand an der Humboldt-Universität zu Berlin zum Beispiel das Fach Afghanologie, und viele Afghanen kamen zum Studium nach Ost-Berlin, Dresden oder Leipzig.

Erst der Sturz Mohammad Najibullahs 1992 beendete diese intensiven Beziehungen. Auf bundesdeutscher Seite zog man sich mit dem Einmarsch der Sowjets 1979 in Afghanistan zurück.

Moudjahedeen-Rebellen und Dorfbewohner 1980 während der sowjetischen Besatzungszeit

Afghanistan unter sowjetischer Besatzung

Der Krieg führte zu immensen Flüchtlingsbewegungen, hauptsächlich in Richtung Pakistan und Iran. Zielländer der Exilanten waren aber auch die USA und Deutschland, wohin sich auch Tausende von Angehörigen der geistigen Elite Afghanistans begaben.

Die Bundesregierung plädierte in dieser Zeit mehrfach für den Abzug "fremder Truppen" aus Afghanistan und trat für das Selbstbestimmungsrecht des afghanischen Volkes in Freiheit ein. Und sie leistete humanitäre Hilfe zur Linderung der ärgsten Not im Land.

Wiederaufbau

Als nach dem Sturz des Taliban-Regimes 2001 die internationale Gemeinschaft vor der Frage des Wiederaufbaus stand, war es Deutschland, das die Initiative ergriff und alle Beteiligten zu den afghanischen Friedensgesprächen auf den Petersberg bei Bonn einlud. Bei den Afghanen stieß dieser Vorschlag auf große Gegenliebe, schließlich war Deutschland seit vielen Jahren ein verlässlicher und vor allem gleichberechtigter Partner des Landes.

So ist es nicht verwunderlich, dass die deutschen ISAF-Truppen (Internationale Sicherheitsunterstützungstruppe) ab 2003 den Aufbau des afghanischen Polizeiapparates in der Hand hatten. Zwischen 2002 und 2014 wurden mehr als 73.000 afghanische Polizistinnen und Polizisten ausgebildet. Finanziert wurden auch Projekte zur Alphabetisierung der Polizei. Es folgte Anfang 2015 die NATO-Trainingsmission Resolute Support Mission (RSM), die die ISAF-Mission ablöste.

Afghanistan: Bundeswehr hilft

Berater: Die Bundeswehr um Oberst Axel Hermeling

Deutsche Experten setzen sich auch für eine funktionierende Justiz ein. In Afghanistan gibt es bis heute allerdings parallel drei Rechtssysteme: das staatliche Recht, die Scharia sowie Gewohnheitsrechte. Zudem wurde eine bessere Trinkwasserversorgung für die Hauptstadt Kabul und Provinzstädte wie Kundus oder Herat hergestellt. Der Straßenbau wird vorangetrieben.

Um der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in Afghanistan nachhaltige Impulse zu geben, fördert Deutschland Existenzgründungen sowie berufliche Bildungs- und Fortbildungsmaßnahmen. Für den Wiederaufbau und die Entwicklung des Landes von 2017 bis 2020 sagte die Bundesregierung einen Betrag von 1,7 Milliarden Euro zu.

Mit deutscher Hilfe sind auch viele Schulen wieder aufgebaut worden. Die Lehreraus- und -weiterbildung ist ebenfalls ein wichtiger Teil des deutschen Engagements. 2018 gingen in Afghanistan acht Millionen Kinder zur Schule – 2001 war es nur eine Million.

Auch wenn Afghanistan bis heute eines der ärmsten und am wenigsten entwickelten Länder der Welt ist, hat die deutsche und internationale Hilfe bewirkt, dass die durchschnittliche Lebenserwartung von 44 auf 61 Jahre gestiegen ist. Die Sterblichkeit von Kindern unter fünf Jahren wurde halbiert. Und die Einkommen sind, wenn auch auf niedrigem Niveau, seit 2001 auf das Fünffache gewachsen.

Rückzug aus Afghanistan

Nachdem die USA den Abzug ihrer Truppen für 2021 angekündigt hatten, räumte auch die Bundeswehr ihre bisherigen Stützpunkte in Afghanistan. Rund 150.000 Angehörige der Bundeswehr waren im Lauf von 20 Jahren am Hindukusch im Einsatz; 59 von ihnen kamen ums Leben. Ende Juni 2021 verließen die letzten Soldatinnen und Soldaten das Land. Die Bundeswehr wurde danach erneut eingesetzt – für die Evakuierung deutscher Staatsbürger und afghanischer Ortskräfte.

Am 15. August 2021 wurde die deutsche Botschaft in Kabul geschlossen. Das Auswärtige Amt forderte sämtliche deutschen Staatsangehörigen auf, das Land zu verlassen, was vielen wegen der  Machtübernahme der Taliban zunächst nicht mehr möglich war.

Mitte August 2021 stellte die Bundesregierung die Entwicklungshilfe für Afghanistan ein – 250 Millionen Euro waren in diesem Jahr geplant gewesen. Darüber hinaus wurden die Gelder für die Polizeiausbildung und die humanitäre Hilfe gestoppt.

Quelle: SWR | Stand: 18.08.2021, 13:31 Uhr

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