Der älteste Europäer – ein Georgier
Bereits vor 1,8 Millionen Jahren siedelten Frühformen des Menschen in Georgien. Der Schädel eines Homo erectus, der 1999 in einem Kaukasustal gefunden wurde, zeigt: Die ursprünglich aus Afrika stammenden Menschen hatten ihren ersten europäischen Siedlungsplatz in Georgien.
Im Laufe der Jahrtausende mischten sich viele durchwandernde Völker mit der sesshaften Bevölkerung und schufen einen vielfältigen Kulturraum.
Die ersten staatlichen Gebilde auf georgischem Boden formten sich bereits mehrere Jahrhunderte vor Christus. Sie standen im Austausch mit den Kulturen des Zweistromlandes und den Völkern Anatoliens. Aus dem antiken Griechenland brachten Kaufleute nicht nur Waren, sondern auch ihre Mythologie mit.
Das Christentum wird georgische Staatsreligion
Mit der Christianisierung Georgiens begannen syrische Mönche vermutlich schon im 4. Jahrhundert nach Christus. Sie legten den Grundstein für den Bau vieler Klöster und schufen an vielen Orten lebendige, religiöse Zentren.
Zur Missionarin und quasi Nationalheiligen wurde eine heilkundige Frau namens Nino, die wahrscheinlich aus Syrien stammte. Nino gelang es, die damals schwer kranke Königin Nana zu heilen, die Frau des herrschenden Königs Mirian.
Aus Dankbarkeit wollte die Königin Nino belohnen. Da Nino keine Ansprüche stellte, sondern auf die Kraft ihres Gottes verwies, erhob Königin Nana das Christentum zur Staatsreligion.
Bis heute gehören etwa 84 Prozent der Bevölkerung zur georgisch-orthodoxen Kirche. Ein Ausdruck ihres starken Glaubens ist auch die georgische Nationalflagge: Zentrale Elemente sind das rote St.-Georgs-Kreuz auf weißem Grund sowie vier kleinere Kreuze in den Ecken. Das große Kreuz ist ein Symbol für Christus, die kleinen stehen für die vier Evangelisten.
Die Nationalflagge mit dem St.-Georgs-Kreuz
Jahrhunderte geprägt von Fremdherrschaft
Sucht man nach einem Stammvater für Georgien, so kommt König David infrage. Er schuf als Erster eine staatliche Einheit. Unter seiner Ägide bis zur Herrschaft der Königin Tamar im 13. Jahrhundert erlebte Georgien eine Blütezeit – das sogenannte "goldene Jahrhundert". Nur hundert Jahre später zerfiel das Land in verschiedene Kleinstaaten.
Verschiedene Völker und Fürsten versuchten im Laufe der Geschichte, Georgien zu erobern oder zumindest ihre Einflusssphäre auf das Land auszudehnen. Waren die Araber bereits zwischen dem 8. und 10. Jahrhundert ins Land eingedrungen, um den Islam zu verbreiten, so konkurrierten nach Georgiens goldenem Jahrhundert abwechselnd Osmanen und Perser um das Land.
Die russische Vorherrschaft
Erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts erweiterten die Russen ihre Macht bis an den Rand des Kaukasus'. Die Georgier suchten Verbündete gegen die Osmanen. Zar Alexander I. schickte den Georgiern militärische Hilfe – mit dem Ergebnis, dass Georgien Anfang des 19. Jahrhunderts in die Abhängigkeit von Russland geriet.
1918, nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und dem Untergang des Zarenreiches, erklärte sich Georgien für unabhängig und wurde von Russland sogar als eigener Staat anerkannt.
Die Eigenstaatlichkeit währte allerdings nur drei Jahre. Denn die bolschewistische Oktoberrevolution machte vor dem Kaukasusland nicht halt. Georgien wurde von der Roten Armee besetzt und zur Republik innerhalb der Sowjetunion erklärt.
Jahrzehntelang hielt ein eigenmächtiger Staats- und Parteiapparat das Land im Griff, Korruption und Schattenwirtschaft florierten. Zunehmend mehrten sich in Georgien auch nationale Töne.
Eduard Schewardnadse, der spätere georgische Präsident, wurde 1971 zum Chef der Kommunistischen Partei Georgiens ernannt. Er sollte Georgien fest an die Ordnung Moskaus binden. Der Wunsch nach Eigenstaatlichkeit schwelte jedoch weiter.
Zar Alexander I.
Georgiens Unabhängigkeit
Der Bruch mit der Sowjetunion kam 1990. Mit ihrer Unabhängigkeitserklärung wollten die Georgier sofort sämtliche russischen Einflüsse abschütteln. Selbst die Straßenschilder wurden umgehend durch georgische ersetzt. Russland strafte die georgische Freiheitsliebe ab, indem es die Gas- und Öllieferungen einschränkte.
Den Georgiern gelang es unter ihrem ersten demokratisch gewählten Präsidenten Swiad Gamsachurdia nicht, einen territorial geschlossenen Staat zu errichten. Die Nationale Einheit, für die der erste Präsident eingetreten war, entpuppte sich als Illusion. Nur wenige Monate nach dem Antritt Gamsachurdias war das Land tief gespalten.
Swiad Gamsachurdia
Unter seinem Nachfolger Eduard Schewardnadse erhielt das Land international zwar viel Anerkennung. Andererseits lag dem neuen Präsidenten nur wenig daran, Georgien in einen Rechtsstaat westlichen Zuschnitts zu verwandeln. Parlament und Opposition waren zu schwach, um die Machtfülle Schewardnadses einzudämmen.
Micheil Saakaschwili, der vielen Georgiern als Hoffnungsträger galt, beendete 2004 die Regierung Schewardnadses. Als Abschiedsgeschenk brachte die politische Opposition Schewardnadse Rosen, weshalb der Machtwechsel auch als Rosenrevolution in die Geschichte einging.
Doch die Hoffnungen auf mehr Demokratie erfüllten sich nicht: Unter Saakaschwili herrschte wieder Korruption, die Pressefreiheit war eingeschränkt, die Gerichte konnten nur bedingt frei arbeiten. Präsident Saakaschwili wurde zunehmend für seinen autoritären Führungsstil kritisiert.
2008 mündete die angespannte Situation zwischen Georgien und den abtrünnigen Provinzen Abchasien und Südossetien in einen bewaffneten Konflikt. Nach fünf Tagen gelang es der Europäischen Union (EU), den Konflikt durch einen Waffenstillstand zu beenden. Russland erkannte die beiden Provinzen als unabhängige Staaten an, was zum Abbruch der Beziehungen zwischen Russland und Georgien führte.
2012 siegte der georgische Multimilliardär Bidsina Iwanischwili mit seinem Bündnis "Georgischer Traum" mit großer Mehrheit bei den Parlamentswahlen. Ein Jahr später wurde der ehemalige Bildungsminister Georgi Margwelaschwili zum neuen Präsidenten Georgiens gewählt. Micheil Saakaschwili durfte nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten. Danach wurde der Politiker Irakli Gharibaschwili zweimal Premierminister von Georgien: von 2013 bis 2015 und von 2021 bis 2024.
Georgien will in die EU
2022 wuchs in Georgien angesichts des russischen Einmarschs in der Ukraine der Druck auf die Regierung, auf einen EU-Beitritt des Landes zu drängen. Im März 2022 stellte Georgien in Brüssel den Antrag. Damit würde das in Asien gelegene Land seiner Vergangenheit den Rücken kehren und seine Zukunft in Europa suchen.
(Erstveröffentlichung 2008. Letzte Aktualisierung 14.08.2024)
Quelle: SWR