Vor Gott gleichberechtigt, doch der Mann erbt mehr
Männer und Frauen sind vor Gott beide gleich und deshalb auch gleichberechtigt, sagt der Koran. Darin sind sich Islamwissenschaftler einig.
Doch weil Mann und Frau sich körperlich unterscheiden und deshalb verschiedene Stärken und Schwächen haben, hat Gott ihnen laut Koran unterschiedliche Aufgaben zugeteilt. Die Rechte des einen ergeben daher nach der Lehre des Korans auch die Pflichten des anderen und umgekehrt.
Der Mann etwa ist im Islam verpflichtet, allein für den Unterhalt seiner Familie zu sorgen. Er muss sich vor Gott dafür verantworten, dass es seiner Familie gut geht. Wenn eine Frau dagegen durch ihre Arbeit eigenes Geld verdient, braucht sie davon nichts an die Familie abzugeben.
Deshalb werden Männer und Frauen bei der Erbfolge auch unterschiedlich berücksichtigt: Frauen erben nur die Hälfte des Vermögens, das einem Mann zustehen würde, weil er davon auch seine Angehörigen mitversorgen muss.
Die Frau dagegen trägt die Hauptverantwortung für das Wohl der Kinder. Gerade in den ersten Jahren ist sie die wichtigste Person im Leben ihrer Kinder.
Dass eine Mutter ihr Baby stillen soll, wenn sie dazu in der Lage ist, steht ausdrücklich im Koran – und auch, dass sie dafür bei einer Scheidung sogar eine finanzielle Entschädigung von ihrem Exmann einfordern darf (Sure 65:6).
Ehe und Scheidung sind im Koran genau geregelt
Ein Mann darf laut Koran mehrere Frauen heiraten, muss sie dann aber sowohl finanziell als auch emotional gerecht und gleich behandeln. Frauen dürfen nicht mehrere Männer gleichzeitig haben, aber sie dürfen selbst entscheiden, wann und wen sie heiraten. Und sie haben das Recht, ihren Mann per Ehevertrag davon abzuhalten, weitere Frauen zu heiraten.
Das steht in den Überlieferungen des Propheten Mohammed. Auch eine Scheidung ist erlaubt und darf laut Sure 2:227 von beiden Seiten ausgehen.
Doch im Koran gibt es auch einige Passagen, die manchmal als Beweis der Überlegenheit von Männern gegenüber Frauen ausgelegt werden. Sure 4 spricht zum Beispiel davon, dass die Männer "über den Frauen stehen", was viele Gelehrte so verstehen, dass die Männer über die Frauen bestimmen dürfen. Und in der gleichen Sure wird den Männern auch erlaubt, "widerspenstige Frauen" zu ermahnen, sie im Ehebett zu meiden und auch zu schlagen.
Oft entscheidet die Tradition, nicht der Koran
Der Alltag von muslimischen Gläubigen wird – wie der von Christen auch – nicht nur von religiösen Texten geprägt, sondern auch von jahrhundertealten Traditionen. Deshalb unterscheiden sich Theorie und Praxis in vielen Lebensbereichen, und viele Frauen werden durch kulturelle Traditionen viel stärker in ihrem Alltagsleben eingeschränkt, als es der Koran vorsieht.
Ein großer Unterschied zeigt sich bei der Schulbildung. Laut Koran hat Gott Männern und Frauen gleichermaßen befohlen, sich weiterzubilden. "Das Streben nach Wissen ist eine Pflicht für jeden Muslim, Mann oder Frau", sagte auch der Prophet Mohammed im 7. Jahrhundert.
Viele Mädchen in muslimischen Ländern gehen nur einige Jahre in die Schule
Aber tatsächlich bleibt vielen muslimischen Mädchen bis heute eine umfassende Schulausbildung verwehrt. "Die Kosten und auch die Gefahr für ihren guten Ruf wären einfach zu groß", sagt Christine Schirrmacher, Islamwissenschaftlerin und Professorin an der Universität Bonn.
Schließlich bedeutet ein längerer Schulbesuch gerade in ländlichen Gegenden oft, dass die Mädchen in eine andere Stadt ziehen müssten und damit nicht mehr in der Obhut der Familie stünden.
Oft schreibt auch die Tradition vor, dass Mädchen nur von Frauen unterrichtet werden dürfen. Deshalb gehen die Mädchen in Ländern wie Afghanistan oder Pakistan meist nur einige Jahre zur örtlichen Schule. Danach bleiben sie wieder zu Hause, um der Mutter zu helfen und alles zu lernen, was sie für Haushaltsführung und Kindererziehung wissen müssen, bis sie mit 16 bis 20 Jahren verheiratet werden.
"Hausarrest ab der Pubertät"
Die Würde der Frau soll genauso hoch eingeschätzt werden wie die Würde des Mannes, fordert der Koran. Auch die Kleidungsvorschriften, die diese Würde schützen sollen, gelten für beide Geschlechter. Die muslimische Kleidung soll die Gläubigen so verhüllen, dass sie nicht das Interesse des anderen Geschlechts auf sich ziehen. Frauen sollen zusätzlich mit einen "Hijab" (übersetzt etwa: Schleier oder Tuch) ihre Haare bedecken, weil diese als besonders weiblich und damit verführerisch gelten.
Während viele muslimische Frauen etwa in Saudi-Arabien, Pakistan oder dem Sudan spätestens von der Pubertät an von ihren Familien gezwungen werden, Kopftücher oder auch Ganzkörperschleier zu tragen, entscheiden sich gerade in westlichen Ländern viele Frauen auch freiwillig für das Kopftuch als Zeichen ihrer Religion – manchmal sogar gegen den Willen ihrer liberalen Familien.
Eine einfache Antwort auf die Frage nach der Bedeutung des Kopftuchs kann es deshalb nicht geben. Die Londoner Journalistin Nesrine Malik, die im Sudan aufwuchs und selbst jahrelang gegen ihren Willen den Gesichtsschleier Niqab tragen musste, schreibt dazu: "Wer muslimischen Frauen im Westen aus religiösen Gründen das Kopftuch erlauben will, vergisst dabei, dass diese Freiheit oft von sozialem Druck bestimmt ist. Und wer es ablehnt, weil es angeblich die Frauen unterdrückt, schiebt ihnen seine eigenen Ansichten über ihre Motivation unter."
In vielen muslimischen Familien gilt es noch immer als höchstes Ziel, dass eine Frau gut verheiratet wird und als Jungfrau in die Ehe geht. Um dieses Ziel zu erreichen, werden viele junge Mädchen in muslimischen Ländern auch heute noch praktisch weggesperrt.
"Hausarrest ab der Pubertät – um ihre Jungfräulichkeit zu gewährleisten, werden Millionen von muslimischen Frauen zum Verrichten häuslicher Arbeiten und zu ewiger Langeweile verurteilt", schreibt die Islamkritikerin und Frauenrechtlerin Ayaan Hirsi Ali in ihrem Buch "Ich klage an". Für Jungen und Männer gelten dagegen solche Einschränkungen nicht.
Afghanische Mädchen lesen zusammen den Koran
Manche Einschränkungen sind "mit dem Islam unvereinbar"
In einigen muslimischen Ländern werden die Rechte der Frauen viel stärker eingeschränkt als in anderen. "Vielerorts herrschen Zustände, die mit dem Islam unvereinbar sind", sagt die muslimische Autorin Emina Corbo-Mesic. "Schlimmer noch: In einigen Ländern sind Menschen- und Frauenrechte mit der Begründung eingeschränkt worden, die Frauen schützen zu wollen" – vor den zudringlichen Blicken, Gesten oder auch Handgreiflichkeiten der Männer.
In einigen muslimischen Ländern ist die Verschleierung für Frauen Pflicht
In Ländern wie Saudi-Arabien, Iran oder Afghanistan gelten besonders strenge Regeln für Frauen. Der Iran schließt Frauen von vielen Sportveranstaltungen aus; eine Aktivistin wurde zu einer einjährigen Gefängnisstrafe verurteilt, weil sie ein Männer-Volleyballspiel besuchen wollte.
In Saudi-Arabien stehen Frauen ihr Leben lang unter der Vormundschaft eines männlichen Verwandten – von Vater oder Bruder, Mann oder auch dem Sohn. Ohne deren schriftliche Erlaubnis dürfen sie sich nicht medizinisch untersuchen oder operieren lassen und auch nicht reisen.
Auch das Autofahren war Frauen in Saudi-Arabien noch bis 2018 verboten. "Diese Einschränkungen lassen sich nicht durch den Koran oder den Islam begründen – früher sind Frauen ja auch selbstständig auf Kamelen geritten", sagt Şuayip Seven, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Islamische Theologie an der Uni Münster.
In liberaleren muslimischen Gesellschaften wie der Türkei sind dagegen Staat und Religion in vielen Bereichen voneinander getrennt. Bis 2013 galt dort sogar ein Kopftuchverbot im öffentlichen Raum: Frauen durften Universitäten, Bibliotheken oder Gerichtssäle nur ohne Kopftuch betreten. Frauen besitzen in der Türkei und anderen Ländern wie Marokko und Tunesien schon lange die gleichen Rechte – zumindest auf dem Papier.
Erst seit 2018 dürfen Frauen in Saudi-Arabien selbst Auto fahren
Und theoretisch haben sie auch die gleichen Karrierechancen wie Männer. Die Politikerin Tansu Çiller wurde 1993 erste türkische Ministerpräsidentin, zwölf Jahre bevor Deutschland die erste Bundeskanzlerin hatte: Angela Merkel wurde 2005 gewählt. Allerdings blieb Çiller bislang die einzige Frau an der Spitze der Türkei.
(Erstveröffentlichung 2015. Letzte Aktualisierung 26.06.2019)
Quelle: WDR