Die Flagge Chiles vor blauem Himmel

Chile

Die Geschichte Chiles – ein langer Weg zur Demokratie

Kolonialzeit, Unabhängigkeitskrieg, Militärputsch, Diktatur – der Weg Chiles hin zu einem der wohlhabendsten Länder Lateinamerikas war holprig. Und auch heute, nach 30 Jahren Demokratie, sind noch nicht alle Probleme behoben.

Von Hernán J. Martín

Präkolumbianische Zeiten

Die Gebiete des heutigen Chile waren bereits sehr früh besiedelt. Im Norden ließen sich die Atacameños und die Chinchorros vor rund 11.000 Jahren in den Tälern der Anden nieder. Weiter südlich lebten die Diaguitas und betrieben Viehzucht und Ackerbau.

Im südlichen Zentralchile, in der Nähe der Hafenstadt Puerto Montt, wohnten die Chiquillanes und Poyas. Hier fanden Archäologen einige der ältesten menschlichen Überreste von ganz Amerika – darunter Jagdgegenstände, Heilpflanzen und sogar den Fußabdruck eines Kindes. Die Wissenschaftler schätzen, dass die Funde rund 14.800 Jahre alt sind. Auch im tiefen Süden Patagoniens siedelten Menschen: die Chonos und Kawesqar, die als Nomaden vom Fischfang lebten.

Die indigenen Gruppen betrieben teilweise Handel und lebten friedlich miteinander, bis die mächtigen Inka im 15. Jahrhundert über das Land herfielen. Sie eroberten die Gebiete bis zum Río Maule, rund 300 Kilometer südlich der heutigen Hauptstadt Santiago. Dort wurden sie von den Mapuche aufgehalten, einer indigenen Gruppe, die bis heute in Chile und Argentinien lebt.

Eine Karte von Chile.

Chile ist ein schmales und langes Land, mit verschiedenen Regionen

Eroberung durch die Spanier

Der Portugiese Ferdinand Magellan war der erste Europäer, der Chile entdeckte. Im Jahre 1520 umsegelte er die südliche Spitze Lateinamerikas. Er blieb allerdings nicht, sondern fuhr weiter und überquerte als erster Europäer den Pazifik. Trotzdem hinterließ der Seefahrer Spuren in Chile: Die berühmte Meerenge im Süden des Landes, die Magellanstraße, ist nach ihm benannt.

Den ersten Eroberungsversuch unternahm 1536 der Spanier Diego de Almagro, der Chile über die Anden von Peru aus erreichte. Obwohl sein Angriff ein Fehlschlag war, kundschaftete er die Region aus und ebnete damit den Weg für andere, es zu versuchen.

Im Jahr 1540 durchquerte Pedro de Valdivia die Atacama-Wüste und erreichte das Mapocho-Tal in Zentralchile. Valdivia besiegte die lokalen Stämme und gründete am 12. Februar 1541 Santiago del Nuevo Extremo. Diese Siedlung wurde später zur heutigen Hauptstadt des Landes, Santiago de Chile.

Während der Kolonialzeit war Chile Teil des Vizekönigreichs von Peru. Die Spanier kontrollierten große Landstriche des heutigen Chiles. Sie zwngen die indigene Bevölkerung, Gold und Silber abzubauen sowie Landwirtschaft und Viehzucht zu betreiben.

Die südlichen Teile blieben den Spaniern jedoch ähnlich wie den Inkas verwehrt. Wieder waren es die Mapuche, die erfolgreich Widerstand leisteten. Sie sind das einzige präkolumbianische Volk in Lateinamerika, das sich gegen die Kolonialisten jahrhundertelang bis zur Unabhängigkeitserklärung durchsetzen konnten.

Historisches Bild von einem Feldzug der spanischen Konquistadoren.

Der spanische Konquistador Pedro de Valdivia und seine Armee, ca. 1542

Der lange Kampf für die Unabhängigkeit

Wie in vielen Ländern Lateinamerikas bildete sich in Chile in der Kolonialzeit die Gruppe der Mestizen – die Nachkommen von einem europäischen und einem indigenen Elternteil. Diese identifizierten sich immer weniger mit den spanischen Herrschern. Sie sehnten sich danach, die Zügel ihres Landes selbst in die Hand zu nehmen, um ihre Interessen zu verteidigen. Im Jahr 1810 verlangten sie die Unabhängigkeit von Spanien.

Auch in anderen südamerikanischen Ländern kam es zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu Unruhen. Im Norden führte der Freiheitskämpfer Simón Bolívar Kriege gegen die spanische Kolonialherrschaft in Venezuela, Kolumbien und Ecuador. Er setzte auch das Vizekönigreich von Peru unter Druck, zu dem Chile gehörte.

Im Osten stieg der Unabhängigkeitskämpfer José de San Martín in Argentinien auf. Er verbündete sich mit dem chilenischen General Bernardo O'Higgins. Die beiden Kämpfer organisierten eine Armee und überquerten im Jahr 1817 die Anden. Es gelang ihnen, die Spanier von dieser Seite aus mit einem Überraschungsangriff zu schlagen. Anschließend besetzten sie die Hauptstadt Santiago.

Die Konquistadoren wehrten sich mit neuen Soldaten, die der spanische König schickte. Erst 1818 mit der Schlacht von Maipú, 15 Kilometer südwestlich der Hauptstadt, konnten die Freiheitskämpfer den Unabhängigkeitskrieg für sich entscheiden.

Viele Männer bekämpfen sich mit Schwertern und Kanonen auf einem Feld.

Die Schlacht von Maipú im Jahre 1818

O'Higgins wurde zum obersten Führer der neu geschaffenen chilenischen Republik ernannt. Er führte Chile bis 1823. In diesen fünf Jahren gelang es ihm, den Großteil der verbliebenen Spanier zu vertreiben. Im Jahr 1826 nahm die chilenische Regierung schließlich die Insel Chiloé im Süden ein, auf der sich die letzten Spanier verschanzten. Damit war der Unabhängigkeitskrieg endgültig beendet.

Zu Beginn seiner Unabhängigkeit sah Chile anders aus als heute. Die Grenzen zu Bolivien und Argentinien waren noch nicht definiert. Im Süden kämpfte der Mapuche-Stamm weiter um die Aufrechterhaltung seiner Unabhängigkeit. In den 1880er-Jahren siegte Chile im Salpeterkrieg gegen Bolivien und Peru. Es gelang der Regierung auch, die Mapuche zu besiegen und das südliche Gebiet zu annektieren. So entstand die lange, schmale Form Chiles, wie wir sie heute kennen.

Der Salpeterkrieg zwischen Bolivien und Chile beginnt (am 01.03.1879)

WDR ZeitZeichen 01.03.2014 14:50 Min. Verfügbar bis 27.02.2094 WDR 5


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Die Ära Allendes

Die Zeit nach der Unabhängigkeit war keineswegs friedlich. Es folgten ein Bürgerkrieg und Grenzstreitigkeiten mit Argentinien. Auch die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts war geprägt von politischer und wirtschaftlicher Instabilität. Die unteren Schichten forderten eine bessere Verteilung von Reichtum und Land, während der rechte Flügel befürchtete, seine Macht zu verlieren.

Nach mehreren Versuchen gewann der sozialistisch ausgerichtete Politiker Salvador Allende im Jahr 1970 die Präsidentschaftswahlen. Damit wurde er der erste demokratisch gewählte marxistische Präsident der Welt. Allende verstaatlichte nach seinem Amtsantritt viele Unternehmen und verteilte den Reichtum Chiles um.

Mehrere Männer demonstrieren auf der Straße und zeigen Schilder mit der Aufschrift "Allende".

1964: Anhänger warben für die Wahl Allendes

Allendes Politik verärgerte den konservativen Teil der chilenischen Gesellschaft. Auch die US-amerikanische Regierung hatte Chile im Visier, da auch Sektoren verstaatlicht wurden, die von US-Unternehmen kontrolliert wurden. Das veranlasste die Regierung von US-Präsident Richard Nixon, die Opposition zu unterstützen. In den folgenden Jahren schwächten Streiks, die starke Opposition im Kongress sowie die wirtschaftliche Instabilität die Allende-Regierung.

Salvador Allende als Präsident von Chile vereidigt (am 03.11.1970)

WDR ZeitZeichen 03.11.2015 14:45 Min. Verfügbar bis 31.10.2025 WDR 5


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Militärputsch und Diktatur unter Pinochet

Am 11. September 1973 inszenierte der damalige Innenminister Augusto Pinochet einen Militärputsch und forderte Allendes Rücktritt. Dieser weigerte sich jedoch, seinen Posten zu verlassen. Daraufhin befahl Pinochet der Armee, den Präsidentschaftspalast La Moneda zu bombardieren, in dem sich Allende mit seiner Familie und engsten Vertrauten befand.

Während des Gefechts beging Allende in der Moneda Selbstmord. Innerhalb von Stunden besetzte Pinochets Militär sämtliche Institutionen. In den Tagen nach dem Putsch spürte das Militär die Anhänger Allendes auf und verhaftete sie. Im Nationalstadion der Hauptstadt wurden Tausende von Häftlingen festgehalten und teilweise an Ort und Stelle ermordet.

Vor 50 Jahren: Militärputsch in Chile

WDR Zeitzeichen 11.09.2023 14:56 Min. Verfügbar bis 11.09.2099 WDR 5


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Viele Chilenen hofften, dass es nach dem Putsch bald wieder zu freien Wahlen kommen würde. Pinochet blieb jedoch bis 1989 an der Macht und wurde einer der gewalttätigsten Diktatoren in der Geschichte Lateinamerikas. Er machte Allendes Politik rückgängig, etablierte eine freie Marktwirtschaft und führte zu tiefgreifenden Veränderungen. Der Diktator eliminierte den Kongress, verbot linke Parteien und fast alle politischen Aktivitäten. Oppositionelle wurden brutal unterdrückt.

Der Nationale Geheimdienst (Dirección de Inteligencia Nacional, DINA) hielt politische Gefangene in verschiedenen Teilen des Landes in Haft- und Folterzentren fest, darunter auch die deutsche Gemeinde Colonia Dignidad. Ungefähr 35.000 Menschen wurden in den 17 Jahren der Diktatur gefoltert. Weitere 3.000 Personen gelten als vermisst. Sie werden als Desaparecidos bezeichnet. Angehörige wissen teilweise bis heute nicht, was mit ihnen passiert ist. Menschenrechtsorganisationen gehen davon aus, dass sie vom Geheimdienst verhaftet oder entführt und anschließend ermordet wurden.

Mehrere Männer feuern auf den Präsidentenpalast "La Moneda" in Santiago de Chile.

General Pinochet kam 1973 durch einen Militärputsch an die Macht

Zurück zur Demokratie

In den 1980er-Jahren wurden andere Länder aufmerksam auf die Menschenrechtsverletzungen der Pinochet-Diktatur. Viele forderten eine Rückkehr zur Demokratie – darunter die US-Regierung, ein wichtiger Handelspartner zu Zeit Pinochets. Die Repression politischer Gegner nahm dadurch langsam ab. Oppositionellen gelang es schließlich, politische Parteien zu gründen. 1989 fanden die ersten freien Wahlen seit fast 20 Jahren statt. Der Christdemokrat Patricio Aylwin setzte sich durch.

Bevor Pinochet im Jahr 1990 den Präsidentenpalast verließ, baute er diverse Klauseln in die Verfassung ein, die ihn immun gegen Strafen für seine Taten machten. Außerdem blieb er Oberbefehlshaber der Armee. Der Ex-Präsident blieb ungestraft, bis er 1998 auf Ersuchen des spanischen Richters Baltasar Garzón in London festgenommen wurde. Da viele verschiedene Länder beteiligt waren, wurde das Verfahren jedoch immer wieder verschoben. Pinochet starb am 10. Dezember 2006 im Alter von 91 Jahren, noch bevor er verurteilt wurde.

Für die darauffolgenden Präsidenten, die Christdemokraten Aylwin und Eduardo Frei sowie später die Sozialisten Ricardo Lagos und Michelle Bachelet, stellte die Pinochet-Diktatur ein schweres Erbe dar. Die Aufarbeitung stockte, weil der Ex-Diktator und seine Vertrauten nicht zur Rechenschaft gezogen werden konnten und die Ermittlungen behinderten. Heute ist bekannt, dass rund 2.000 der Verschwundenen in den Folterzentren und Gefängnissen ermordet wurden, rund 1.000 Menschen bleiben weiterhin spurlos verschwunden.

Kerzen und Karten mit der Aufschrift "¿Dónde están?" ("Wo sind sie?") stehen auf dem Boden.

Hinterbliebene fordern bis heute Aufklärung über ihre verschwundenen Familienmitglieder

(Erstveröffentlichung 2021. Letzte Aktualisierung 29.01.2021)

Quelle: WDR

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