Einsame Jugend und Sensations-Journalismus
Henry Morton Stanley wurde als John Rowlands am 28. Januar 1841 im walisischen Denbigh geboren. Auf seiner Geburtsurkunde stand: "John Rowlands, Bastard." Als Sohn eines Hausmädchens und eines unbekannten Vaters wuchs er in einem Heim auf, in dem die Kinder zur Arbeit gezwungen und misshandelt wurden.
Als Jugendlicher schlug sich Rowlands als Schiffsjunge nach Nordamerika durch, wo er von einem reichen Kaufmann namens Henry Stanley aufgenommen wurde. Die beiden trennten sich im Streit, doch Rowlands nahm trotzdem – unrechtmäßig – dessen Namen an.
Durch seinen Dienst im Amerikanischen Bürgerkrieg (1861-1865) entwickelte er ein Geschick für die Kriegsberichterstattung. 1867 wurde er Sonderberichterstatter für den "New York Herald", sein Verleger schickte ihn in verschiedene Krisenregionen. Stanley manipulierte, dramatisierte, hetzte von Kriegsschauplatz zu Kriegsschauplatz und erlangte so Bekanntheit als Sensationsreporter.
Stanley und Livingstone
1869 erreichte ihn ein Telegramm seines Verlegers: Stanley solle den in Afrika verschollenen Forscher David Livingstone finden und eine einmalige Story daraus machen. Stanley witterte seine Chance auf Ruhm. Vom indischen Mumbai aus (das damals Bombay genannt wurde) begab er sich schließlich ein Jahr nach dem Telegramm auf die Suche nach Livingstone.
Stanley brach mit angeblich fast 400 Trägern zur Suche nach dem verschollenen Afrikaforscher auf. Die Expedition kämpfte mit Krankheiten, Hunger und Überschwemmungen, musste unwegsamen Urwald und dürre Savanne durchqueren.
Als sie Ende 1871 Livingstone in einem Dorf am Tanganjika-See fanden, waren nur noch wenige Männer übrig. Der Rest war gestorben oder aufgrund von Stanleys brutalem Führungsstil desertiert.
Anders als Stanley war Livingstone mit nur wenigen Männern, ohne finanzielle Unterstützung, zu Fuß und fast ohne wissenschaftliches Gerät Hunderte Kilometer durch Zentralafrika gereist. Getrieben wurde er von der Neugier auf Natur und Einwohner auf dem Gebiet der heutigen DR Kongo.
Die beiden gegensätzlichen Entdecker schlossen sich zusammen und versuchten, den etwa 1870 aufkommenden Wettlauf zur Quelle des Nils zu gewinnen. Die europäischen Kolonialmächte wollten wissen, wo der gewaltige Strom Nil entspringt, und schickten deshalb rivalisierende Expeditionen mit berühmten Wissenschaftlern nach Afrika. Doch Stanley und Livingstone konnten die Quelle nicht finden.
1874, nachdem Livingstone in Sambia gestorben war, machte sich Stanley erneut auf die Suche nach der Nil-Quelle. Nach mehr als drei Jahren und mehr als 10.000 Kilometern hatte Stanley sein Ziel erreicht. Auf dieser Expedition umrundete er den Viktoria- und den Tanganjika-See und konnte so beweisen, dass es eine Verbindung zwischen Viktoria-See und Nil gibt.
Betrüger und Unterdrücker
Dann wurde der König von Belgien, Leopold II., auf ihn aufmerksam. Fortan arbeitete Stanley in Afrika kräftig daran, mit betrügerischen Verträgen den Stammeshäuptlingen Land und Arbeiter abzunehmen, um die gesamte Region unter König Leopolds Herrschaft zu stellen.
Im Rahmen der Afrika-Konferenz 1884/85 erkannten schließlich die europäischen Staaten und die USA den von Leopold erworbenen "Unabhängigen Kongostaat" als persönlichen Privatbesitz des Königs an.
Stanley beaufsichtigte in dieser Zeit die Bauarbeiten einer befestigten Straße von der Mündung des Kongos bis zum Pool Malebo. Die Arbeiten wurden von den Einheimischen verrichtet. Leopold II. hatte sie versklavt und zwang sie nun mit brutalen Methoden, Kautschuk zu gewinnen und Straßen zu befestigen.
Ermöglicht hatten das die Verträge, die Stanley mit den Häuptlingen im Auftrag Leopolds abgeschlossen hatte. Eine versteckte Klausel besagte, dass jeder Stammesangehörige zur Arbeit für den belgischen König verpflichtet war. Die Häuptlinge verstanden natürlich die Verträge nicht, die in einer ihnen fremden Sprache verfasst waren.
Ritterschlag und späte Strafe
Während König Leopold den Kongo ausbeutete, reiste Stanley durch Europa, um die Bücher über seine Expeditionen vorzustellen. Er war damit sehr erfolgreich und ließ sich als Held der Afrikaforschung feiern. 1899 wurde Stanley in England zum Ritter geschlagen.
Im gleichen Jahr machte der Journalist Edmund Dene Morel eine Entdeckung: Die Frachtschiffe aus dem Kongo kamen stets vollgepackt mit wertvollen Waren in Europa an. Von dort nahmen sie aber immer nur Munition und Ketten wieder mit zurück nach Afrika. Nach und nach wurden die Gräuel des belgischen Königs aufgedeckt. Leopold II. wurde 1908 schließlich gezwungen, den Kongo aus seinem Privatbesitz an Belgien zu übertragen.
Leopold II. beutete den Kongo aus
Sir Henry Morton Stanley starb am 10. Mai 1904 in London. Er wollte neben Livingstone in Westminster Abbey beigesetzt werden, was ihm der Dean of Westminster aber aufgrund seiner grausamen Taten verwehrte, die der Öffentlichkeit mittlerweile bekannt waren.
(Erstveröffentlichung 2010. Letzte Aktualisierung 29.06.2020)
Quelle: WDR