Wie schwang sich Archäopteryx in die Lüfte?
Eine so hoch entwickelte Feder aus der Jurazeit, das war eigentlich schon spektakulär genug. Der Abdruck zeigte aber noch eine zusätzliche Besonderheit: Der Kiel saß nicht mittig, sondern asymmetrisch in der Feder.
Diese Art von aerodynamischer Feder besitzen auch heutige Vögel und nutzen sie als Schwungfeder. Für Wissenschaftler war diese besondere Eigenschaft der fossilen Feder ein eindeutiges Indiz dafür, dass ihr Besitzer flugfähig gewesen sein musste.
Bereits ein Jahr nach diesem spektakulären Urfeder-Fund wurde das zugehörige Tier entdeckt. Auf der Langenaltheimer Haardt bei Solnhofen kam das erste Archäopteryx-Fossil ans Tageslicht: der versteinerte Abdruck eines Tieres, das halb Vogel, halb Saurier war und die lagunenartige Landschaft des heutigen Altmühltals bevölkerte, das damals noch viel näher am Äquator lag als heute.
Die spannende Frage, die bis heute – auch nach zehn weiteren fossilen Archäopteryx-Funden – nicht vollständig geklärt werden konnte: Wie schwang sich dieses geheimnisvolle, urtümliche Wesen in die Lüfte? Segelte es per Gleitflug von Bäumen oder gewann Archäopteryx in Hühner-Manier flatternd vom Boden aus an Höhe?
Die Baumkletterer-Theorie
Während die Finger der heutigen Vögel miteinander verwachsen und im Flügel verborgen sind, waren die Finger des Archäopteryx frei beweglich. An ihrer Spitze befanden sich scharfe Krallen. Die Küken des Hoatzin – einem in Südamerika lebenden Kuckucksverwandten – haben an ihren Flügelspitzen sogar heute noch Krallen.
Sie nutzen sie, um sich schnell wieder durch die Äste ins Nest zurückzuhangeln, falls sie auf den Boden geplumpst sind. Da liegt die Vermutung nahe, dass es vor 150 Millionen Jahren auch Archäopteryx so gemacht haben könnte: erst einen Baumstamm hochklettern, um sich dann per Gleitflug elegant vom Geäst aus in die Lüfte zu schwingen.
Die Baumkletterer-Theorie scheint einleuchtend. Sie war auch über lange Zeit die populärste. Auf vielen Darstellungen sieht man Archäopteryx hoch oben im Baum auf einem Ast sitzen.
Der "Klassiker": Archäopteryx abflugbereit auf einem Ast
Oder war es ein Start vom Boden aus?
Inzwischen hat diese Theorie harte Konkurrenz bekommen. Schuld daran ist vor allem der zehnte Archäopteryx-Fund, der im Jahr 2005 wissenschaftlich genau untersucht und beschrieben wurde. Das Besondere an diesem Fossil-Skelett ist, dass es in Bauchlage im Kalkgestein eingebettet und noch sehr gut erhalten ist.
Die Forscher entdeckten an ihm Merkmale, die in den Vorgänger-Fossilien noch nicht zu erkennen waren. Vor allem die Zehen gaben den Wissenschaftlern entscheidende Hinweise. Archäopteryx konnte die erste hintere Zehe nicht vollständig nach hinten drehen, konnte also einen Ast nicht fest umklammern.
Und auch die zweite Zehe verriet etwas Wichtiges: Archäopteryx konnte sie nicht wie heute lebende Vögel nach unten klappen, sondern nach oben. Eine anatomische Spezialität, die auch kleine, wendige Raubsaurier besaßen, zum Beispiel Deinonychus und Velociraptor. Diese setzten die scharfe, sichelförmige Kralle an der Zehenspitze als gefährliche Waffe ein.
Diese Ähnlichkeit lässt vermuten, dass Archäopteryx’ Fuß dem eines Sauriers wesentlich ähnlicher war, als man zunächst vermutete. Zum Sitzen auf einem Ast ist so ein Fuß jedenfalls völlig ungeeignet.
Die Interpretation des zehnten Fossils spricht für einen Start vom Boden aus. Ähnlich wie ein Huhn hätte er demnach rennend und mit den Flügeln schlagend mehr oder weniger elegant an Höhe gewonnen.
Der zehnte Archäopteryx-Fund brachte neue Hinweise
Noch viele Fragen bleiben offen
Ob Archäopteryx aus luftiger Höhe von Baumkronen oder vom Boden aus zum Flug ansetzte, ist also auch heute immer noch nicht vollständig geklärt. Immerhin war der Urvogel mit Federn ausgestattet, die perfekt an das Fliegen angepasst waren.
Bleibt also weiterhin die Frage offen nach dem "Wie?". Wer weiß, wie viele Urvögel sich noch in den fränkischen Jura-Plattenkalken verbergen. Ein neuer Archäopteryx-Fund wird den Forschern vielleicht einen weiteren, entscheidenden Hinweis liefern.
(Erstveröffentlichung 2003. Letzte Aktualisierung 24.08.2020)
Quelle: SWR