Experiment Steinzeit

Jungsteinzeit

Experiment Steinzeit

Wie lebten die Menschen in der Steinzeit? Wie schützten sie sich vor schlechtem Wetter? Wie fingen sie Fische? Schriftliche Quellen über den Alltag in der Steinzeit gibt es nicht. Gemeinsam mit Forschern wagte der SWR deshalb 2006 ein außergewöhnliches Experiment.

Von Hana Hauck

Moderne Menschen wagen eine Reise in die Jungsteinzeit

Zwei Familien und drei Freunde machen sich auf zu Hütten im Hinterland des Bodensees. Dort wartet eine Auszeit von der hektischen Gegenwart auf sie – ein vermeintlicher Natur-Urlaub mit einem romantischen Blick auf einen Weiher und gemeinsamen Stunden am Lagerfeuer.

Doch die Realität sieht zunächst ganz anders aus: Dauerregen, ein undichtes Dach, Streit, und ein Kind, das das Essen erbricht. "Es macht nicht wirklich Spaß", resümiert einer der Erwachsenen frustriert.

Nein, das ist nicht die Geschichte einer Gruppe Touristen, die auf einen schlechten Reiseanbieter hereingefallen ist. Die sieben Erwachsenen und sechs Kinder sind Teilnehmer bei einem Experiment der besonderen Art.

Begleitet von Kameras des SWR und unter der Anleitung der Archäologen Gunter Schöbel und Harm Paulsen sollen sie herausfinden, wie das Leben in der Jungsteinzeit gewesen sein könnte. Denn darüber ist noch wenig bekannt.

Von unseren Vorfahren, erklärt Schöbel, finden Fachleute nur sterbliche Überreste, Gebrauchsgegenstände, Kunst oder Teile ihrer Bauten. "Wir haben ja keine Kamera dabei und auch keine Zeitmaschine, die uns zeigen könnte: Wie haben die Menschen vor 5000 Jahren gelebt?" Das Experiment soll deshalb neue Ansätze bringen.

Zeichnung: "Eine Siedlung zur jüngeren Steinzeit"

Die Menschen bildeten eine Gemeinschaft

Trainieren für die Jungsteinzeit

Die Probanden werden mit Bedacht ausgewählt: Unter ihnen sind eine gelernte Krankenschwester, ein Holzrücker, ein Landschaftsgärtner und ein Töpfer. Bei einem Gesundheitscheck wird geprüft, dass sie nicht nur handwerklich begabt, sondern auch körperlich belastbar sind.

Denn sie werden mehrere Wochen lang in einem rekonstruierten Steinzeithaus leben, das unter Anleitung von Fachleuten ganz ohne Nägel, Kunststoff und Beton erbaut wurde. Sie werden ein Feld bestellen und Nutztiere in einem Gehege versorgen müssen. Zwei der Erwachsenen sollen zudem in steinzeitlicher Ausrüstung die Alpen überqueren.

Experimentalarchäologe Paulsen macht die Teilnehmer fit für das Leben in der Steinzeit. Ein elektrischer Herd, gemahlenes Mehl, ein fertiges Steak vom Metzger – all das wird es nämlich nicht mehr geben für die 13 Teilnehmer.

Von Paulsen lernen sie, ohne Streichholz und Feuerzeug ein Feuer zu entfachen, Korn mit Steinen zu zerkleinern und Messer aus Feuersteinsplittern herzustellen. "Dieser Motor Steinzeit muss erst mal laufen", prophezeit er. "Und das ist ein zäher Motor. Man muss ziemlich kurbeln, bis das Ding läuft."

Fehlschlag ist nicht gleich Fehlschlag

Tatsächlich hakt es schon gleich zu Beginn: Die Neu-Steinzeitler schlagen geduldig Pyrit und Feuerstein gegeneinander, aber es wollen einfach keine Flammen aufzüngeln. Dann klappt das Kochen auf dem offenen Feuer nicht, das steinzeitliche Emmerkorn lässt sich nicht entspelzen und die Fische im Weiher beißen nicht. Schließlich regnet es auch noch in die Hütte.

Ist das Experiment bereits auf der ganzen Linie gescheitert? Im Gegenteil: "Ein Fehlschlag ist genauso wichtig wie ein Erfolg", erklärt der Experimentalarchäologe Paulsen später. Wenn man herausfinde, dass eine Herangehensweise nicht funktioniere, könne man diese nämlich als Lösungsweg ausschließen. "So tastet man sich langsam per Erfolg und Misserfolg an die Sache ran."

Das gilt sogar für das undichte Dach. Als Fachleute in das Steinzeitdorf kommen, um sich den Schaden anzusehen, erklärt Archäologe Schöbel: "Es gibt in der Forschung eine lange Diskussion um die Art der Dachdeckweise."

Einige Experten seien überzeugt, dass es zu der Zeit, in der Hütten wie die der SWR-Steinzeitsippe gebaut wurden, noch kein Schilf in der Region gab. Andere hielten dagegen, dass Gras ungeeignet sei, um Gebäude trockenzuhalten.

"Was ihr jetzt da mitbekommen habt, ist, ich bin eigentlich ganz froh drüber, ein wissenschaftlicher Beleg – so traurig es für euch vielleicht sein mag", sagt Schöbel. "Dächer mit diesem Winkel und Halme mit dieser geringen Stärke halten einfach einen Regen, der so stark ausfällt wie in den letzten Wochen, nicht aus."

Andere Dinge klappen dagegen sehr gut. Die steinzeitlichen Messer zum Beispiel sind so scharf, dass die Sippe damit ein Schwein zerlegen kann. Die beiden Wanderer finden bei ihrer Alpenüberquerung einen Rastplatz, der auch für ihre Vorfahren in der Jungsteinzeit interessant gewesen sein könnte. Experten kennen ihn noch nicht und erwägen nun, dort zu graben.

Außerdem stellen die Alpenüberquerer erstaunt fest, dass die Fellschuhe, die schon Ötzi getragen hatte, bei Schnee nicht nur warm, sondern auch trittsicher sind.

Harm Paulsen

Harm Paulsen: Pionier auf dem jungen Feld der Experimentalarchäologie

Alles dreht sich um den Kopf

Das Urteil der Experten: Eine "echte" Steinzeit durchlebten die Teilnehmer des Experiments natürlich nicht. Es sei vielmehr eine Art Robinson-Crusoe-Steinzeit gewesen, meint Paulsen. Denn Menschen von heute hätten schlicht nicht das Wissen ihrer Vorfahren.

"Es dreht sich immer um den Kopf. Und was im Kopf ist, ist immer noch der Mensch von heute", sagt er. Der Mensch von heute versuche eben auch bei einem solchen Experiment alle Probleme so zu lösen, wie er es bereits gewohnt sei. Den Winter hätte die Sippe daher wahrscheinlich nicht überlebt.

(Erstveröffentlichung 2005, letzte Aktualisierung 30.07.2018)

Quelle: SWR

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