Jungsteinzeit
Materialkenntnisse und Werkzeuge der Jungsteinzeit
Ohne gutes Werkzeug lässt es sich schlecht arbeiten. Doch was, wenn es ein Gerät noch gar nicht gibt? Erst nach und nach fand der Mensch in der Jungsteinzeit heraus, wofür er welche Werkzeuge nutzen und herstellen konnte.
Von Lothar Nickels
Zeitalter des neuen Steins
Neu war nicht nur, dass Feuersteine zu Pfeilspitzen, Messern und Bohrern zugeschlagen wurden, sondern auch zähe Felsgesteine zu Steinbeilen und Lochäxten geschliffen. Steinbeile sind typisch für das Neolithikum. Man brauchte man sie zum Roden sowie um Baumaterial zu beschaffen, Brennholz zu schlagen und Feinden über den Kopf zu hauen.
Die gute Funderhaltung in den Feuchtbodensiedlungen zeigt aber, dass die Mehrzahl der Gerätschaften in der Steinzeit gar nicht aus Gesteinen bestand, sondern aus Knochen, Geweihen, Holz, Leder, Textilfasern und Keramik. Eigentlich müsste man nicht von der Steinzeit reden, sondern von einer Holzzeit oder Lederepoche.
Andere Steine wurden ebenfalls geschliffen, zusätzlich aber noch durchbohrt und mit einem Stiel versehen. Bis heute hat sich diese Grundidee einer Axt gehalten. Mit ihr konnte der Mensch ein anderes wichtiges Rohmaterial erobern: Holz. Es war ebenfalls in großen Mengen vorhanden.
Und hier gilt das Gleiche wie beim Stein – es kommt darauf an, wofür es gebraucht wird. Für Schüsseln oder Löffel brauchte man nicht gleich einen ganzen Baum zu fällen. Um ein Haus zu bauen, mussten dagegen eine ganze Menge Bäume gehauen werden.
Materialkenntnisse
Dabei leistete die Axt hervorragende Dienste. Aber nicht nur beim Abholzen, sondern auch beim weiteren Verarbeiten der Stämme. Die wurden auf einer Seite angespitzt und dann als tragende Stützen in den Untergrund versenkt. Das war zumindest die Methode der Steinzeitmenschen, die vor 5000 Jahren am Bodensee ihre Behausungen bauten.
Bis heute hat sich diese Grundidee einer Axt gehalten
Meistens wurden solche Pfahlbauten in Wassernähe errichtet, weil dort der Boden verhältnismäßig weich war. Um alle Holzpfähle einer solchen Konstruktion zusammenzuhalten, brauchte man etwa 1000 Meter Bindematerial aus Lindenbast, der zu Stricken verdreht wurde.
Abgesehen davon, dass es wohl ziemlich lange dauert, bis genügend Lindenbast gesammelt ist – vorher muss man überhaupt erst einmal auf die Idee kommen, ausgerechnet aus Lindenbast ein Seil zu fertigen. Die Menschen damals wussten also ziemlich genau über die Eigenschaften sämtlicher Materialien Bescheid, die in der Natur vorkamen – und für welchen Zweck sie geeignet waren.
Das wird auch deutlich, wenn man sich mit der Kleidung von damals beschäftigt. Archäologische Funde wie der Gletschermann Ötzi belegen, wie viele unterschiedliche Stoffe allein an und in seinen Schuhen verarbeitet wurden: Heu im Innenschuh für den Schutz gegen Kälte, der Außenschuh war aus Hirschleder, und für die Sohlen schien Bärenleder das Richtige zu sein.
Zum Schnüren seiner Schuhe benutzte Ötzi Lindenbast. Bis er wirklich zufrieden war mit dem, was er am Fuß trug, hatte es sicherlich ziemlich lange gedauert. Vermutlich hatte er immer wieder Schwachstellen gefunden, die er verbesserte.
Lederschuhe aus der Steinzeit
Das trifft auch auf sämtliche Waffen, Werkzeuge und anderen Alltagsgegenstände aus der Jungsteinzeit zu. Denn immer wieder gab es Situationen, in denen das vorhandene Gerät ungeeignet war, um das gewünschte Ziel damit zu erreichen. Dann waren Kreativität und Fantasie gefordert.
Offenbar scheint etwas dran zu sein an der Redewendung "Not macht erfinderisch." Wäre dem nicht so, hätte sich der Mensch nicht über so viele Jahrtausende hinweg entwickeln können.
Quelle: SWR | Stand: 23.07.2020, 17:20 Uhr