Enttäuschter Handballer nach einer Niederlage.

Depressionen

Depressionen im Spitzensport

Spätestens seit dem Suizid von Fußballprofi Robert Enke 2009 ist klar, dass Depressionen auch im Spitzensport Realität sind. Denn der Druck ist groß: Spitzensportler werden an ihren Leistungen gemessen und definieren sich darüber.

Von Daniel Schneider

Anfällig für psychische Erkrankungen

Fast die Hälfte aller Menschen leidet im Laufe ihres Lebens einmal an einer psychischen Erkrankung. Auch Leistungssportler bilden hierbei keine Ausnahme, doch es bleibt ein Tabuthema. Das zeigt eine Studie der Sporthochschule Köln in Zusammenarbeit mit der Stiftung Deutsche Sporthilfe, die unter dem Titel "Dysfunktionen des Spitzensports" im Jahr 2013 veröffentlicht wurde.

Für diese Studie wurden Online-Fragebögen an 1150 Leistungssportler verschickt. Dabei wurden die Sportler zu drei großen Themen befragt: Doping, Match Fixing (also die Manipulation eines Spiels, weil Wetten auf ein bestimmtes Ergebnis oder Ereignis abgeschlossen wurden) und Gesundheitsgefährdungen.

Mehr als 40 Prozent der Befragten äußerten sich überhaupt nicht zum Thema depressive Erkrankungen, obwohl ihnen zugesichert wurde, dass ihre Antworten anonym bleiben würden. Von denen, die die Frage beantworteten, gaben mehr als neun Prozent an, an depressiven Erkrankungen zu leiden. Eine besorgniserregende Zahl, da es sich bei den Befragten vor allem um Jugendliche und junge Erwachsene handelt.

Die Betroffenen sind also in einem Alter, in dem entscheidende Weichen für die Zukunft gestellt werden. Neben Ausbildung oder Studium nimmt der Sport einen entscheidenden Teil ihres Lebens ein. Diese beiden zeitintensiven Dinge unter einen Hut zu bringen, ist nicht einfach. Dadurch können Ängste und depressive Erkrankungen entstehen.

Robert Enke.

Fußballer Robert Enke

Druck von außen und von innen

Sportpsychologe Jens Kleinert von der Sporthochschule Köln unterscheidet zwei Motive im Leistungssport, die Ängste verstärken und Depressionen zusätzlich fördern:

1. Der Druck von außen

Medien, Sponsoren und Trainer überwachen Sportler ständig. Der Trainer will, dass sich sein Schützling stetig verbessert und empfindet Ablenkungen vom Sport schnell als lästig. Die Sponsoren verlangen gute Leistungen und beste Plätze, sonst stellen sie die finanzielle Unterstützung ein.

Und auch die Medien bewerten Sportler bis ins kleinste Detail. Die Fußballzeitschrift "kicker" benotet beispielsweise die aktuellen Bundesligaspieler nach jedem Spieltag bis auf die zweite Stelle hinter dem Komma. Die Fans lesen das gerne, machen sich aber selten bewusst, welche Auswirkungen das auf das Seelenleben eines jungen Spielers haben kann.

2. Der Druck von innen

Viele Sportler sind erfolgsorientiert. Ihnen sind viele Mittel recht, um noch erfolgreicher zu werden. Wenn sie in einem Wettbewerb nicht das gewünschte Ergebnis erzielt haben, trainieren sie noch härter und investieren noch mehr Zeit, bis sie ihr Ziel erreicht haben. Dabei nehmen sie wenig Rücksicht auf Körper und Seele. Sie werden vom Erfolgswunsch angetrieben.

Andere Sportler dagegen sind misserfolgsorientiert. Sie werden von der Grundangst zu versagen bestimmt: Was passiert, wenn ich verliere und aus dem Kader fliege? Was ist, wenn der Sponsor abspringt? Die negativen Emotionen treiben sie an.

Beide Typen sind gefährdet, depressiv zu werden, der misserfolgsorientierte jedoch stärker.

Auch prominente Sportler leiden unter Depressionen

Auch erfolgreiche und finanziell abgesicherte Sportler erkranken an Depressionen. Der Schwimmer Michael Phelps zum Beispiel. Er gewann 28 olympische Medaillen, darunter 23 goldene.

Nach den Olympischen Spielen 2012 in London verließ Phelps tagelang nicht sein Zimmer, schlief wenig und aß kaum. Später begann er eine Therapie. Er machte seine Depressionserkrankung bewusst öffentlich, um anderen Betroffenen zu helfen.

Schwimmstar Michael Phelps kontrolliert nach einem Rennen seine Zeit an der Anzeigentafel

Leistungssportler wie Michael Phelps stehen unter großem Druck

Der Suizid von Fußballprofi Robert Enke im Jahr 2009 entfachte besonders in Deutschland eine Diskussion zum Umgang mit Depressionen im Spitzensport. "Auch Leistungssportler können psychische Erkrankungen erleiden, die adäquat diagnostiziert und behandelt werden müssen. Für diese Erkrankungen kann man gar nichts, sie kommen oft wie eine Grippe", schreibt der Psychiater Frank Schneider.

Gemeinsam mit Robert Enkes Witwe Teresa verfasste er das Buch "Depressionen im Sport" – einen Ratgeber für Sportler, Trainer, Betreuer und Angehörige. "Allerdings hängt ihr Auftreten eng mit Stressoren zusammen wie beruflichen oder privaten Konflikten, Trennung vom Partner, Schlafmangel, um nur ein paar wenige Beispiele zu nennen", schreibt Schneider weiter.

Nach dem Suizid ihres Mannes gründete Teresa Enke die "Robert-Enke-Stiftung". Die Organisation unterstützt die Behandlung und wissenschaftliche Erforschung von Depressionen.

Pressekonferenz der Robert-Enke-Stiftung mit Teresa Enke (Mitte), dem ehemaligen DFB-Präsidenten Reinhard Grindel (links) und dem DFB-Direktor Oliver Bierhoff

Teresa Enke machte nach dem Tod ihres Mannes das Thema Depressionen öffentlich

Depressionen können bei jedem Menschen anders aussehen

Bei einer Depression handelt es sich um eine gut behandelbare Krankheit, mit der Betroffene ein normales Leben führen können. Trotzdem können Depressionen auch tödlich enden und müssen deshalb sehr ernst genommen werden – von den Sportlern, aber vor allem von deren Umfeld.

Depressionen können jeden treffen. Psychiater Frank Schneider beschreibt es so: "Es handelt sich dabei nicht um vorausgegangenes Fehlverhalten oder Versagen, sondern um Erkrankungen des Gehirns, die aufgrund einer gewissen biologischen Verletzlichkeit im Zusammenwirken mit äußerem Stress auftreten." Jeder depressive Mensch muss deshalb auch individuell behandelt werden. Das gilt ebenso für Spitzensportler.

Schneider empfiehlt Sportlern mit Anzeichen einer depressiven Erkrankung deshalb, nicht den Vereins- oder Verbandsarzt aufzusuchen, sondern zu einem externen Arzt oder Psychologen zu gehen. Denn nur hier kann sich der Sportler ganz öffnen, weil der Arzt keinem Verein zu einer Stellungnahme verpflichtet ist. Das stärkt das Vertrauen. Und Vertrauen zu der behandelnden Person und zum engsten Umfeld ist ein ganz wichtiger Faktor der Behandlung einer Depressionserkrankung im Spitzensport.

Wie wirken sich globale Krisen auf Depressionen im Spitzensport aus?

Das Leben von Leistungssportlern ist während ihrer aktiven Zeit durchgetaktet. Die Abläufe von Training und Wettkampf sind genau festgelegt. Wenn diese Routine über einen langen und nicht absehbaren Zeitraum unterbrochen wird – wie etwa durch den so genannten "Lockdown" während der Corona-Pandemie –, kann das einen erheblichen Einfluss auf die Karriere und damit auf die eigene Existenz haben.

Die pandemiebedingte Verschiebung der Olympischen Spiele 2020 in Peking war für viele Sportler eine große Herausforderung. Sie hatten jahrelang auf dieses Event hintrainiert und wurden dann ausgebremst.

Außerdem fehlten durch die Kontaktbeschränkungen die Möglichkeiten, sich mit anderen Spitzensportlern zu messen und somit eine Bestätigung für die eigenen Leistungen zu bekommen.

Niedergeschlagene Sportlerin sitzt in der Umkleidekabine

Nicht allein bleiben – ein ganz wichtiger Punkt bei der Bekämpfung von Depressionen

Das hatte einen großen Einfluss auf die Psyche von Spitzenathleten, wie die US-Universität Stanford in einer Studie herausfand. Von März bis August 2020 befragten die Wissenschaftler 131 Ausdauersportler zu ihrer mentalen Gesundheit.

Dabei gaben 22,5% an, während der Pandemie mehrmals pro Woche depressive Gedanken zu haben. Vor der Pandemie waren es nur knapp vier Prozent gewesen – der Wert hatte sich also in der Krise fast versechsfacht. Auch Nervosität und Angst waren laut der Studie deutlich gestiegen.

(Erstveröffentlichung: 2013. Letzte Aktualisierung: 27.05.2021)

Quelle: WDR

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