Ein unterschätzter Parasit
Der Erreger "Toxoplasma gondii" ist ein Einzeller und mit dem Malaria-Erreger verwandt – und er ist weltweit verbreitet. Bislang wurde der Parasit in rund 60 Vogel- und 300 Säugetierarten nachgewiesen. Er ist Auslöser einer der weltweit häufigsten Infektionskrankheiten, der sogenannten Toxoplasmose.
Auch der Mensch wird von ihm befallen: Jeder zweite Deutsche trägt ihn in sich, bei den über 50-Jährigen sind es sogar 70 Prozent. Die Gehirne von bis zu drei Milliarden Menschen weltweit, so die Schätzungen, sind von ihm befallen. Nachweisen lässt sich der Erreger übrigens mit einer Antikörperbestimmung im Blut.
Unauffällige Infektion
Toxoplasmose kann fast unbemerkt verlaufen oder zu schweren Missbildungen und zum Tod führen. Die meisten Infizierten ahnen gar nicht, dass sie befallen sind. Denn bei gesunden Menschen löst die Infektion allenfalls kurzzeitige Erkältungssymptome wie Schüttelfrost, Fieber und Gliederschmerzen aus.
Aber die Infektion geht dann in eine latente Phase über: Die Toxoplasmen bilden Gewebezysten in den Zellen des Wirtes. Zu ernsten Komplikationen kann es kommen, wenn bei latent Infizierten das Immunsystem geschwächt ist – etwa durch Stress, Aids, eine Chemotherapie oder eine Organtransplantation. Denn dann kann Toxoplasma wieder aktiv werden und sich unkontrolliert ausbreiten. Wer einmal infiziert ist, bleibt ein Leben lang Träger des Parasiten.
Für Schwangere ist der Parasit gefährlich, denn wenn sich eine Frau während der Schwangerschaft erstmals mit Toxoplasma ansteckt, besteht das Risiko, dass der Parasit den Fötus befällt und dessen Gewebe und Organe schädigt. Besonders in der frühen Schwangerschaft kann eine Infektion zu Fehlgeburten und Missbildungen führen.
Bislang gibt es für Menschen keine Impfung gegen Toxoplasmose. Es gibt auch keine Therapie, um den Parasiten wieder loszuwerden.
Tödliche Anziehung
Wie schafft es der Parasit, derart viele Menschen zu infizieren? Der Schlüssel zu seinem Erfolg verbirgt sich in seinem komplexen Lebenszyklus. Toxoplasma kann sich sexuell nur im Darm von Katzenartigen (von der Hauskatze bis zum Löwen) vermehren. Sie sind die Hauptwirte von Toxoplasma.
Infizierte Katzen scheiden mit dem Kot Eier des Parasiten aus. Andere Säugetiere, darunter der Mensch, können diese Eier mit der Nahrung aufnehmen. Mäuse und Ratten beispielsweise fressen die Eier, die etwa von Insekten oder Regenwürmern direkt aus dem Katzenkot aufgenommen wurden.
Der Erreger vermehrt sich in seinen Zwischenwirten und kapselt sich bei diesen dauerhaft in Gehirn und Muskulatur ein. Auch diese Dauerformen sind infektiös. Daher können sich auch Zwischenwirte untereinander anstecken, zum Beispiel durch Fleischverzehr.
Aber wie gelangen die Parasiten wieder in die Katze? Normalerweise meiden Mäuse und Ratten Katzen natürlich. Aber infizierte Mäuse werden durch den Geruch von Katzenurin geradezu angezogen, werden furchtlos und so zum gefundenen Fressen für die Samtpfoten.
Der Parasit scheint also das Verhalten seiner Opfer so zu manipulieren, dass die ihn zu seinem Hauptwirt zurück transportieren.
Hinweise für Katzenfreunde
Als Katzenbesitzer braucht man sich dennoch keine großen Sorgen zu machen, denn reine Hauskatzen tragen den Parasiten nicht. Die sogenannten Freigänger sind nur etwa drei Wochen ihres Lebens potenziell infektiös, und zwar dann, wenn sie zu jagen begonnen haben und dabei mit infizierten Nagern in Kontakt kommen.
Wichtigste Überträger sind vor allem Jungkatzen. Wenn sie sich infiziert haben, scheiden sie etwa drei Tage später Parasiteneier aus. Dies hält bis zu drei Wochen an. Nach der Erstinfektion entwickeln Katzen eine Immunität und scheiden selbst bei einer erneuten Toxoplasma-Infektion keine Erreger mehr aus.
In dieser kurzen Zeitspanne, in der Katzen potenziell infektiös sind, sollte vermehrtes Händewaschen angesagt sein. Doch viel wichtiger als die Katze nun aus dem Haus zu verbannen ist es, Gemüse immer gründlich zu putzen.
Schwangere sollten verunreinigtes Trinkwasser (zum Beispiel aus offenen Brunnen) ebenso meiden wie die Gartenarbeit, die Sandkiste und den Kontakt mit mäusejagenden Katzen. Schwangeren wird dringend wegen der Gefahr für den Fötus ein Antikörpertest auf Toxoplasmen empfohlen.
Wer sich vor einer Infektion schützen will, sollte vor allem auf den Verzehr von Mett- und Rohwurstprodukten verzichten. In Ländern mit hohem Fleischverzehr – wie Deutschland – ist die Durchseuchungsrate mit 50 Prozent besonders hoch. In den Niederlanden sind es nur 26 Prozent und in den USA, wo kaum rohes Schweinefleisch konsumiert wird, sind es sogar nur neun Prozent.
Strippenzieher im menschlichen Gehirn
Toxoplasma bildet auch Zysten im Gehirn seiner Zwischenwirte. Durch die Zysten schützt sich der Parasit vor dem Immunsystem des Wirtes. Bei Mäusen führen die Zysten zu extremen Verhaltensänderungen. Und was bewirkt der Erreger bei seinen menschlichen Wirten?
Diese Frage stellte sich der tschechische Parasitologe Prof. Jaroslav Flegr von der Prager Karlsuniversität. Er ist selbst mit Toxoplasma infiziert.
In seinen Untersuchungen konnte Flegr nachweisen, dass infizierte Personen eher zu Selbsttötung neigen, ein erhöhtes Risiko haben, psychisch zu erkranken und häufiger in Arbeits- und Autounfälle verwickelt sind. Außerdem haben Infizierte eine erhöhte Risikobereitschaft und eine verlängerte Reaktionszeit.
Blinder Fleck in der Psychologie
Die Vermutung, dass Toxoplasma Schizophrenie auslöst, wird von Tierversuchen und Befunden am Menschen gestützt. Eine Untersuchung von 2016 kommt zu dem Ergebnis, dass drei von vier Menschen mit Schizophrenie den Erreger in sich tragen. Bei Gesunden ist es nur jeder zweite. Daher sollten Psychiater und Psychotherapeuten bei psychischen Erkrankungen öfter ein Lehrbuch über Parasitologie aufschlagen.
Bei Toxoplasma-Infektionen gibt es laut Flegr aber auch geschlechtsspezifische Unterschiede: So sind infizierte Männer im Mittel introvertierter, misstrauischer und neigen dazu, Regeln eher zu missachten. Infizierte Frauen dagegen gehen mehr aus sich heraus, sind vertrauensvoller und halten sich stärker an gesellschaftliche Regeln.
Da der Testosterongehalt bei infizierten Männern steigt, werden diese von Frauen als besonders maskulin und dominant wahrgenommen. Doch damit nicht genug: Nach einer Studie vom Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund (IfADo) beeinflusst Toxoplasma gondii auch die Gedächtnisleistung.
Besonders deutlich waren die Unterschiede bei älteren Menschen. Hier fanden die Forscher eine Abnahme der Arbeitsgedächtnisleistung um bis zu 30 Prozent bei den infizierten Probanden. Auch bei der Messung der Hirnströme offenbarten sich deutliche Unterschiede.
Per Anhalter ins Gehirn
Aber wie gelingt es Toxoplasma gondii, aus dem Darm ins Gehirn zu kommen und damit die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden? Der Parasit dringt in sogenannte dendritische Zellen ein, die zu unserem Immunsystem gehören. Wie in einem Trojanischen Pferd kann er sich mit ihrer Hilfe unerkannt aus dem Darm ins Gehirn schleusen lassen.
Um die Tarnung zu perfektionieren, lässt der Parasit seine gekaperte Zelle den Botenstoff GABA (Gamma-Amino-Buttersäure) ausschütten. Dieser Botenstoff wird normalerweise nur von Hirnzellen abgegeben.
Aber was hat Toxoplasma gondii davon, wenn er uns Menschen langsamer, dümmer und schwächer, dafür aber risikobereiter macht? Im Gegensatz zu Mäusen oder Ratten werden wir ja eher selten von Katzen gefressen.
Flegr argumentiert hier aus evolutionshistorischer Sicht: Schließlich gehörten unsere Vorfahren noch vor einigen Jahrtausenden zum Beutespektrum von Säbelzahnkatze oder Höhlenlöwe. Für den Parasiten war es also durchaus von Vorteil, uns langsamer und risikofreudiger zu machen. Doch diese Zeiten sind zum Glück vorbei. Und der Parasit steckt bei uns Menschen als Zwischenwirt vermutlich in einer Sackgasse.
(Erstveröffentlichung 2017. Letzte Aktualisierung 19.07.2019)
Quelle: SWR