Zeig mir deinen Hut, und ich sage dir, wer du bist
In Europa trug man im frühen Mittelalter Kopfbedeckungen, die die Zugehörigkeit zu einer bestimmten gesellschaftlichen Schicht signalisierten. Der einfache Mann trug im 11. und 12. Jahrhundert eine so genannte Coiffe, eine eng anliegende Bundhaube aus Leinen oder Leder. Sie gehörte auch zur Kleidung der vornehmeren Schichten. Allerdings wurde sie hier unter anderen Kopfbedeckungen wie Hüten oder Mützen getragen.
Frauen hatten im Mittelalter in Europa ihr Haar zu verhüllen, sobald sie verheiratet waren. Die typisch weiblichen Kopfbedeckungen waren zu dieser Zeit Hauben und Kopftücher, die sich von Schicht zu Schicht deutlich voneinander unterschieden und Teil einer Kleiderordnung waren, die in ländlichen Gegenden teilweise noch Jahrhunderte später eingehalten wurde.
Damit kam Kopfbedeckungen lange Zeit eine bedeutende gesellschaftliche Symbolik zu. Diese Eigenschaft nutzten – besonders im Mittelalter – die Maler, um in ihren Kunstwerken bestimmte gesellschaftliche Gruppen durch Hüte zu kennzeichnen. So wurden beispielsweise Fürsten und Kardinäle häufig mit typischen Kopfbedeckungen gemalt, die aber nur selten tatsächlich getragen wurden.
Porträt von Albrecht Dürers Mutter Barbara mit mittelalterlicher Haube
Der Turban als Vorbild
Das späte Mittelalter brachte eine Fülle von unterschiedlichen Kopfbedeckungen, häufig mit Einflüssen des Turbans, der von den Kreuzfahrern nach Europa gebracht wurde. In Frankreich und Italien gingen Frauen inzwischen freizügiger mit ihrem Haar um und trugen im 14. Jahrhundert eine Art flachen Turban mit einem wulstigen Rand und üppiger Verzierung. Ende des Jahrhunderts entwickelte sich daraus die Hörnerhaube, die sich in weiten Teilen Europas verbreitete.
Außerdem kam für Frauen eine kegelförmige Kopfbedeckung mit einem von der Spitze herabhängenden Schleier in Mode: der Hennin. Dieser wurde in fast ganz Europa rund 100 Jahre getragen.
Der Mann schmückte sich im 14. Jahrhundert mit verschiedenen turbanähnlichen Kopfbedeckungen. Besonders verbreitet war das Barett, eine halbkugelige Kappe, die regional und je nach Stand unterschiedlich aussah. Ende des 15. Jahrhunderts wurde das Barett als flache, tellerartige Kopfbedeckung aus Samt, Seide oder Tuch von Männern und Frauen der Oberschicht getragen.
Den unteren Ständen wurde das Barett-Tragen in Deutschland mehrmals verboten. Das Barett wurde in steifer Form auch als liturgische Kopfbedeckung genutzt. In den einzelnen europäischen Ländern entstanden verschiedene, stetig wechselnde Formen des Baretts, darunter auch die Baskenmütze. Ende des 16. Jahrhunderts kam das Barett aus der Mode.
Reformator Martin Luther mit Barett
Strohhüte – Sehnsucht nach dem Landleben
Das 17. Jahrhundert war die Zeit der großen, breitkrempigen Herrenhüte, die oft aus Biberfilz hergestellt wurden. Erst war in einigen europäischen Ländern der Schlapphut in Mode, dann verbreitete sich von Frankreich und Holland aus eine größere und steifere Hutform mit herabfallender Straußenfeder.
Insgesamt wurden Herrenhüte zu dieser Zeit relativ stark verziert, etwa mit Federn oder Schmuckborten. Die Frauen trugen im 17. Jahrhundert nicht mehr so häufig aufwendige Kopfbedeckungen, sondern üppige Frisuren, kombiniert mit kleinen Hauben, Schleiern oder Tüchern.
Ein neues Verhältnis zur Natur – ausgelöst durch die Werke bedeutender englischer Dichter – machte den Strohhut ("Schäferhut") bei beiden Geschlechtern im späten 17. Jahrhundert modern. Mit diesem drückten Frauen und Männer den Wunsch nach einem einfachen Landleben aus. Fabriziert wurden die Strohhüte zunächst in der Toskana. Um 1690 etablierten sich schließlich Strohhutmanufakturen in England: Allein in der Region um Bedfordshire arbeiteten rund 1400 Menschen als Strohhutflechter.
Gut behütet mit Stroh
Bloß nicht die Frisur ruinieren…
Mit dem Aufkommen der Herrenperücke im 18. Jahrhundert änderte sich die Hutmode für den Mann. Auf dem Kopf getragen hätte ein Hut nur die Perücke in Unordnung gebracht. Aber ohne Hut aus dem Haus zu gehen, war gleichermaßen unvorstellbar. Die Lösung des Problems: der "Chapeau bras", ein Dreispitz, der unter dem Arm getragen wurde.
Die feinen Damen setzten Anfang des 18. Jahrhunderts weiterhin eher auf aufwendige Frisuren als auf üppige Kopfbedeckungen. Wenn überhaupt, trugen die Damen kleine Häubchen. Die Frisuren wurden oft durch Haarschmuck verziert, besonders beliebt waren Kunstblumen.
Die Frauen des Kleinbürgertums trugen das gesamte 18. Jahrhundert hindurch eine komplett anliegende, weiße Leinenhaube. Welchen Stellenwert der Hut noch zu dieser Zeit hatte, zeigt eine Enzyklopädie aus dem Jahr 1783: Sie widmet dem Hut 160 Seiten.
Lieber keinen Hut, denkt sich Händel
Zylinder, Matrosenmützen und Trachtenhüte
Kurz vor der Französischen Revolution 1789 erreichte der Zylinder von England aus das europäische Festland. In Frankreich wurde er zunächst von den französischen Freiheitskämpfern getragen und war bald auch bei den deutschen Revolutionsanhängern beliebt.
Allerdings etablierte sich im Laufe der Revolution bei den radikalen Republikanern als Kopfbedeckung mehr und mehr eine rote, kegelförmige Mütze mit weicher, nach vorne fallender Spitze und einer blau-weißen Kokarde – später nach ihren Trägern "Jakobinermütze" genannt.
Der Zylinder verlor seine demokratische Symbolik schnell wieder und wurde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zum Hut für jedermann. Es gab ihn in verschiedenen Formen für tagsüber und abends. Und die Damen? Die trugen zunächst einen Frauen-Haubenhut mit Kinnband, die "Capote", und daneben auch Formen des Zylinders sowie weiterhin Strohhüte.
Später trug auch Frau den Zylinder: Marlene Dietrich, 1930
Ab Mitte des Jahrhunderts kamen in Deutschland Matrosenhüte und Matrosenkleidung allgemein in Mode. Dieser Trend kam aus England und fand in Kaiser Wilhelm II. einen großen Anhänger. Auf einem Foto von 1896 tragen sämtliche seiner Söhne Matrosenkleidung und dienten damit als modisches Vorbild für die Jungen der bürgerlichen Schichten.
Ende des Jahrhunderts wurde die Hutmode rustikal: Männer wie Frauen trugen regionale Trachtenmode und damit auch Trachtenhüte.
"Keinen Hut zu tragen ist das Modernste"
Die schnelllebige Hutmode brachte allerdings schon Anfang des 20. Jahrhunderts wieder neue Trends mit sich: Die Hüte für Frauen waren nun phantasievoll geschmückt, mittelgroß und wurden von ihren Trägerinnen meist schräg aufgesetzt. Die Damen, die zu dieser Zeit bereits motorisiert unterwegs waren, ergänzten ihre Kopfbedeckungen durch einen "Autoschleier".
Bis Mitte der 1920er-Jahre wurden die Damenhüte größer und flacher und waren üppig mit Federn und Rosetten geschmückt. Danach kamen Topfhüte ohne Krempe bei den Damen in Mode – aus Filz, Velours oder Stroh. Mit dem Aufkommen der "Garçonne"-Mode eroberten die Frauen auch Herrenhüte.
Anschließend änderte sich die Damen-Hutmode erneut schnell: von kleinen, flachen Filz- oder Samthüten über ausgefallene Tellerhüte bis hin zu Kopftüchern und selbst gewickelten Turbanen.
Maler mögen Hüte: Klimts "Dame mit Hut und Federboa"
Die Herren trugen im 20. Jahrhundert zunächst vor allem elegante, schlichte Filzhüte wie den Homburg mit hochgerollter Krempe. Zum Frack setzte man abends den Zylinder auf. Für den Mann war es bis in die 1950er-Jahre undenkbar, ohne Kopfbedeckung aus dem Haus zu gehen. Ab den 1920er-Jahren wurden die Männer-Filzhüte sportlicher; auch die Baskenmütze kam in Mode.
In Deutschland begann der Untergang des Hutes als Teil der alltäglichen Kleidung in den 1960er-Jahren. "So, also keinen Hut zu tragen, ist also das Modernste?", fragt Komiker Karl Valentin in einer Szene im Hutladen – und kauft sich daraufhin keinen Hut.
Und was ist heute modern? Klassische Frauen- und Männerhüte aus Filz werden fast nur noch von älteren Damen und Herren getragen. Baseballmützen sind immer mal wieder in Mode, ebenso wie (Strick-)Mützen in verschiedenen Formen. Kopfbedeckungen sind längst nicht mehr Teil traditioneller Etikette.
Dennoch haben sich die Hüte eine Eigenschaft erhalten: Sie werden noch immer als Unterscheidungsmerkmal eingesetzt. Allerdings nicht mehr, um sich von anderen gesellschaftlichen Schichten abzugrenzen, sondern um sich durch einen eigenen Stil – mit Hut – von der Masse abzuheben.
(Erstveröffentlichung 2007. Letzte Aktualisierung 10.01.2020)
Quelle: WDR