Kitsch und Klischee
Das vollbusige Mädel im Dirndl bringt die Maß Bier, ein Bub mit Lederhosen bläst ins Alphorn – der Klischeebayer ist auf Postkarten und Bildern in aller Welt präsent. Für viele Amerikaner oder Australier gilt bayerische Folklore als "urdeutsch". Dabei waren die Bayern bei der Gründung des Königreichs im Jahre 1806 weit entfernt von einer gemeinsamen Identität.
Durch die so genannte Napoleonische Flurbereinigung wurden viele bis dahin selbstständige Territorien unterschiedlichster Tradition einverleibt: Franken, Schwaben, Pfälzer und Bayern wurden ungeachtet der unterschiedlichen kulturellen Wurzeln und der sprachlichen und landschaftlichen Unterschiede in einem Königreich vereint.
Was anfänglich schwierig war, entwickelte sich im Laufe der Jahrhunderte zu einer Stärke: Heute wird Bayern gerade für seine Vielfalt geschätzt. Die Menschen pflegen ihre über Jahrhunderte gewachsene, besondere Prägung mit Hingabe. Das Brauchtum hat in Bayern deshalb einen besonderen Stellenwert.
Tradition wird hier groß geschrieben
Das Schützenwesen
Vor allem in bayerischen Schützenvereinen wird die Brauchtumspflege beharrlich betrieben. Das Schützenwesen entstand im Mittelalter aus einem Landaufgebot der Bauern. Um Bayern vor "mutwilligem einzug und beschedigungen" zu verteidigen, wurden Anfang des 16. Jahrhunderts Bürger und Bauern zu Wehrmannschaften aufgestellt.
Anfang des 17. Jahrhunderts erneuerte Herzog Maximilian die sogenannte Landesdefension. Die entstandenen "Landfahnen" verteidigten sich angeblich erfolgreich gegen den Vormarsch schwedischer Truppen.
In den 1630er-Jahren gelang es den "Gebirgsschützen", eine Verteidigungslinie entlang der Flüsse Loisach und Isar aufzubauen. Seither ist die Verteidigung der Heimat die Aufgabe der Gebirgsschützen. Auch heute noch symbolisieren die Schützen die Bereitschaft "zur Verteidigung der Güter bayerischer Volkskultur", wenngleich mehr im übertragenen Sinne.
Der katholische Glaube, vor allem die Marienverehrung, ist eng mit der Schützentradition verbunden: Die Mutter Gottes ist die Patronin der Gebirgsschützen. Ein Schützenverein und ein Schützenfest mit Gottesdienst und Straßenumzug gehören – wie das Wirtshaus – in nahezu jedes bayerische Dorf.
Auch die bekannteste bayerische Tracht geht auf die oberbayerische Gebirgstracht zurück: Lederhose für die Männer und ein farbiges Mieder für die Frauen.
Beim Schützenfest spielt die Blaskapelle auf
Gamsbärte und Trachten
Neben der Gebirgstracht gibt es viele weitere Trachtenformen, die sich je nach Region, Religion und Rang unterscheiden. Im 19. Jahrhundert begann in Bayern ein regelrechter Trachtenboom. Als Erster schrieb sich König Maximilian II. die Förderung der ländlichen Kleidung auf die Fahnen.
Mit der Verbreitung der Trachten wollten die Wittelsbacher "zur Hebung des bayerischen Nationalgefühls" beitragen. Zum einen, um das Selbstbewusstsein ihrer Untertanen gegenüber den Preußen zu stärken. Zum anderen, so heißt es heute, um mithilfe dieses Zugeständnisses an das Volk Unruhen zu vermeiden. Maximilian II. trug als erster König von Bayern selbst eine Tracht.
Mit Beginn des 20. Jahrhunderts übernahmen Trachtenvereine die Pflege der Traditionskleidung. Bis heute wird sie bei besonderen Anlässen von vielen Bayern hervorgeholt. Beim Oktoberfest erfreut sie sich bei Menschen jeder sozialen und nationalen Herkunft großer Beliebtheit, viele Touristen nehmen sie als Souvenir mit nach Hause.
Dabei gibt es jedoch jedes Jahr erbitterte Diskussionen unter den "echten" Trachtlern, dass die Trachten der meisten Besucher Designerklamotten seien, die mit der ursprünglichen Tracht nicht viel zu tun haben.
Das wertvollste Detail der bayerischen Tracht ist der Gamsbart. Für einen authentischen Hutschmuck – bestehend aus einem unten zusammengebundenen Büschel aus echten, dunklen Gamsbockhaaren – kann man einige hundert Euro hinblättern.
Beim Gamsbart gilt: je größer desto besser
Oktoberfest
Das bayerische Ereignis schlechthin ist das Oktoberfest – die größte "beer party" der Welt zieht Millionen trinkfreudiger Touristen aus allen Erdteilen nach München. Seinen Ursprung hat das Fest in der Hochzeit von Ludwig von Bayern und der Prinzessin Therese von Sachsen-Hildburghausen im Jahre 1810.
Zur Belustigung der Gäste fand nach den Feierlichkeiten auf der Theresienwiese – benannt nach der Braut – ein Pferderennen statt, für das sich die Wittelsbacher mit Bier und Brotzeit bedankten. Den Bürgern gefiel das so gut, dass sie auch ohne Hochzeit von nun an jährlich feierten.
Zunächst war das Ganze eine Pferdesportveranstaltung. Das erste Karussell gab es bereits 1818, bis zum ersten Bier dauerte es noch. Erst 1950 gab es den ersten offiziellen Fassanstich: Bis der damalige Oberbürgermeister Wimmer das berühmte "Ozapft is!" ausrief, musste er volle 17 Mal zuschlagen.
Inzwischen ist es vor allem das Bier, das den Besuchern beim Oktoberfest als erstes in den Sinn kommt: Rund sechs Millionen Liter fließen bei dem zwei- bis dreiwöchigen Ereignis – gebraut in den Stadtgrenzen von München, wie es die Tradition verlangt.
Das Oktoberfest ist in der ganzen Welt berühmt
Von Allgäuer Bergkäse bis Zwickelbier
Dass es die Bayern beim Essen eher deftig mögen, ist sprichwörtlich. Dennoch gibt es in der bayerischen Küche große regionale Unterschiede. Typisch sind die altbayerischen Fleisch- und Bratengerichte, die Weißwürste und natürlich die Knödel.
Auch Schwaben und Franken pflegen ihre landestypischen Spezialitäten. Zu großer Berühmtheit hat es die Allgäuer Küche gebracht: Kässpätzle und Bergkäse sind über die Landesgrenze hinaus bekannt. Der Allgäuer Käse wird aus Morgen- und Abendmilch der Almkühe hergestellt und reift anschließend drei Monate lang.
Zu den bekanntesten fränkischen Spezialitäten gehört das Zwickelbier. Das naturtrübe, nicht filtrierte Bier ist durch seinen geringen Kohlensäuregehalt sehr süffig. Zudem enthalten die unfiltrierten Hefebestandteile mehr Vitamine und Mineralien als normales Bier. Zwickelbier ist deshalb gesünder.
Allgäuer Käse steht bei Gourmets hoch im Kurs
Bräuche und Traditionen
Auch jenseits der Trachten- und Schützentradition und des Essens hat sich der Freistaat viele Traditionen bewahrt. So wird der Alm-Abtrieb der Kühe bis heute gefeiert – die festlich geschmückten Kühe werden im September unter großem Glockengeläut ins Dorf getrieben.
Auch das Gäubodenfest hält landwirtschaftliches Brauchtum aufrecht: 1812 vom Bayernkönig Maximilian I. ins Leben gerufen, lockt das zweitgrößte bayerische Volksfest bis heute neben mehreren hundert Ausstellern aus Landwirtschaft, Handel und Gewerbe rund eine Million Besucher nach Straubing.
Ein besonderer Spaß für viele Bayern ist im August das in einigen Städten noch praktizierte Fischerstechen, bei dem jeweils drei Männer auf einem Boot versuchen, die Gegenspieler des anderen Bootes mit einer Lanze ins Wasser zu "stechen".
(Erstveröffentlichung 2007. Letzte Aktualisierung 23.07.2019)
Quelle: WDR