Tomaten und Weintrauben sind auf einer Etagere angerichtet.

Gewohnheiten

Nudges: Schubser in neue Gewohnheiten

Marketing und Personalabteilungen verwenden unsere Routinen, um Produkte zu verkaufen oder Mitarbeiter leistungsfähiger zu machen. Sind unsere Gewohnheiten manipulierbar?

Von Katrin Ewert

Neue Kaufgewohnheiten durch Werbung?

Fastfood-Filialien bestimmter Marken sind überall auf der Welt identisch. Egal ob wir uns am Kölner Hauptbahnhof oder beim Städtetrip in Barcelona einen Cheeseburger bestellen: Die Einrichtung ist gleich, der Geruch ist gleich, der Geschmack ist gleich – darauf können wir uns als Konsument verlassen. Diese Fastfood-Anbieter wissen, dass wir Gewohnheiten lieben. Und nehmen sie in ihr Konzept auf.

Marketingabteilungen kennen die psychologische Schleife, nach der Routinen ablaufen und legen Werbekampagnen so an, dass sie auf unsere Auslösereize zielen und Belohnungen versprechen. Indem Marketingfachleute Daten sammeln und auswerten, wissen sie genau, wann und wo sie den Reiz setzen müssen. 

Zum Beispiel im Supermarkt: Marktleiter sind sich bewusst, dass wir freitags Einkäufe für das Wochenende erledigen und locken an diesem Tag mit besonderen Angeboten. Die Marketingspezialisten von Fußballclubs und Filmportalen lassen sogar neue Gewohnheiten entstehen: Wir kaufen eine Dauerkarte, um jeden Samstag ins Stadion zu gehen und erwerben ein Fernseh-Abo, damit wir jeden Sonntag die neue Folge unserer Lieblingsserie schauen können. 

Ein Pärchen sitzt auf einem Sofa, isst Popcorn und schaut fern.

Jeden Sonntag eine neue Folge der Lieblingsserie – war das unsere eigene Idee?

Unternehmen mit Routinen sind erfolgreicher

"Jeder Praktiker, der routinemäßiges Verhalten von Mitarbeitern ändern möchte, sollte sich für Gewohnheiten interessieren" und "Gewohnheiten herzustellen, ist so etwas wie der heilige Gral in der Mitarbeiterführung und eine hohe Kunst", so steht es auf Websites von Unternehmensberatern. Auch innerhalb des Unternehmens setzen Manager also auf Routinen, um Mitarbeiter zu mehr Produktivität anzuregen und die Qualität zu steigern.

Gewohnte Strukturen wie Organisationspläne und feste Hierarchien am Arbeitsplatz sorgen für eine Art "Waffenruhe": Sie verhindern, dass Macht- und Konkurrenzkämpfe ausgetragen werden. Aber noch weitere Kriterien sind Managern wichtig: Motivation, Pünktlichkeit und Sicherheit.

Das Aluminium-Unternehmen Alcoa aus den USA konnte beispielsweise durch eine neue Routine die Anzahl der Arbeitsunfälle reduzieren. Nach jeder Panne sollten die Mitarbeiter einen Vorschlag machen, wie das Unternehmen sie in Zukunft vermeiden kann. Als Anreiz gab es eine Aussicht auf Beförderung.

Drei Personen stehen in einem Büro und besprechen einen Ausdruck.

Wer mehr Lohn oder Beförderung verspricht, fördert neue Gewohnheiten

Das Ergebnis: Die Kosten des Unternehmens sanken, die Qualität und die Produktivität stiegen. Bei McKinsey ist die Praxis interner Kritik die Gewohnheit, die zu ständiger Verbesserung führt. Bei Goldman Sachs führen die Mitarbeiter routinemäßig eine Risikobewertung durch.

Nudges: Wie wir zum richtigen Verhalten angestupst werden

Städte, Umweltorganisationen und Wohlfahrtorganisationen können im Gegensatz zu Unternehmen nicht mit Geld- oder Beförderungsanreizen locken. Stattdessen setzen sie auf sogenannte "Nudges", was übersetzt Schubser bedeutet.

Die US-Amerikaner Richard Thaler und Cass Sunstein verwendeten den Begriff 2008 als Erste in ihrem Buch "Nudge: Wie man kluge Entscheidungen anstößt". Ihre Idee: Wenn die richtige Entscheidung die leichteste ist, werden Menschen sie wählen.

Ein Radfahrer fährt auf einem Fahrradweg.

Wir nehmen öfter das Rad, wenn Städte die Wege dafür ausbauen

Werden Obst und Salate in einer Kantine beispielsweise auf Augenhöhe positioniert oder an der Warteschlange zur Kasse, greifen die Angestellten zu. Gibt es gut ausgebaute Radwege in einer Stadt und Duschen und Umkleiden im Unternehmen, erleichtert es Angestellten die Entscheidung, das Fahrrad anstelle des Autos zur Arbeit zu nehmen. Die Nudges "schubsen" uns quasi in eine Verhaltensänderung und helfen so, unsere Gewohnheiten zu ändern.

Nudging funktioniert aber auch mit Mini-Anreizen: Aufgemalte Linien in Richtung Stufen bewirken, dass Menschen die Treppe statt den Aufzug wählen. Bunte Fußabdrücke auf dem Boden lassen uns Richtung Mülleimer gehen.

Und mit einer Basketballkorb-Atrappe auf dem Papierkorb haben wir noch einen Anreiz mehr, unsere Abfälle hereinzuwerfen. Einen großen Effekt zeigte ein Aufkleber mit dem Motiv einer Fliege in Urinalen in Herren-WC's: 80 Prozent weniger Urin landete auf dem Boden, da die Männer auf die Fliege zielten.

Ein Basketballkorb hängt über einem Papierkorb

Der Basketballkorb ist ein Anreiz, den Müll in den Papierkorb zu werfen

Bei den Nudging-Strategien der Städte und Institutionen werden aber auch kritische Stimmen laut: Es sei ein Eingriff in die Privatsphäre und eine Manipulation der Entscheidungsfreiheit. Andere sehen in den Nudges lediglich "positive Schubser", die uns in die Richtung bringen wollen, die wir ohnehin eingeplant hatten: mehr bewegen, gesünder essen, umweltfreundlicher leben.

Übrigens können wir uns auch selbst "nudgen": Wenn wir Obst sichtbar und in mundgerechten Stücken auf den Küchentisch stellen, greifen wir eher zu, als wenn es sich in der Vorratskammer befindet.

Naschsachen hingegen legen wir am besten ins oberste Fach des Küchenschranks. Wenn wir die Kekse nicht oft erblicken, gibt es auch weniger Auslösereize, sie zu essen.

(Erstveröffentlichung 2018. Letzte Aktualisierung 19.03.2020)

Quelle: WDR

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