An einem Sandstrand sitzen Menschen in Strandkörben. Im Hintergrund steht ein weißes Haus mit roten Türmen auf Stelzen im Wasser.

Inseln

Rügen

Sanfte Hügel, uralte Wälder und schroffe weiße Steilküsten: Die größte Insel Deutschlands liegt in der Ostsee und bietet eine einmalige Naturlandschaft. Seit Jahrhunderten zieht Rügen Maler, Schriftsteller und Architekten an.

Von Anke Seesing

Kreide-Insel aus Muschelschalen und Sand

Tiergehäuse, Schalen und Kalkplättchen türmten sich vor rund 70 Millionen Jahren zu einer bis zu 500 Meter dicken Kalkschicht auf. Unzählige Muscheln, Seeigel, Kalkalgen und andere Meeresbewohner trugen dazu bei.

Heute liegt der Kalk tief unter dem Geröll und Sand der letzten Eiszeit vergraben, teilweise bis zu 40 Meter unter der Inseloberfläche. Nur an einer Stelle kommt der Kalk zum Vorschein – an den Kreidefelsen im Norden von Rügen.

Vor rund zwei Millionen Jahren schob sich ein mächtiger Eispanzer, ein bis zu drei Kilometer dicker Gletscher, von Norden über die Kalkablagerungen der späteren Insel. Er drückte sie zusammen und rieb sie ab.

Aus den skandinavischen Gebirgen schleifte er Gestein mit sich. Unter seinem enormen Gewicht zermahlte er es zu Geröll, Kies und Sand. Tausende Jahre später zog sich der Eispanzer zurück und hinterließ Berge von Schutt – die Oberfläche Rügens.

Schmelzwasser des Eiszeit-Gletschers füllte das Ostseebecken mit Wasser. Die Insel Rügen bildete sich. Brandungswellen brachen die höher aufragenden Ufer ab, eine Steilküste entstand.

In den seichten Buchten der Insel wurde Sand angeschwemmt. Dieser Prozess findet heute noch statt: Jedes Jahr schrumpft die Insel an den Steilküsten im Norden, in flachen Gebieten landet Sand an, jeweils ein bis zwei Meter im Jahr.

Zwischen grünen Bäumen schauen weiße Kreidefelsen hervor. Sie bilden ein Steilufer an der offenen See.

Kreidefelsen auf Jasmund im Norden

Burgen und Statuen für die Götter

Slawen, die zum kriegerischen Stamm der Ranen gehörten, zogen im 6. Jahrhundert nach Rügen. Sie errichteten dort zahlreiche Wallburgen als Festung, Wohnort und Anbetungsstätte ihrer Götter.

Bei Garz im Süden der Insel huldigten sie unter anderem dem fünfköpfigen Donnergott Porevit. Einen Tempel auf der Halbinsel Jasmund weihten sie dem Siegesgott Tjarnaglofi. Zum wichtigsten religiösen Ort für Slawen westlich der Oder wurde die Jaromarsburg am Kap Arkona im Norden.

Die Ranen beteten am Kap Arkona ihren bedeutendsten Gott Swantevit an. Aus einem Eichenstamm hauten sie eine acht Meter hohe Statue. Die vier Köpfe des Gottes schauten in alle Himmelsrichtungen.

Der dänische Geschichtsschreiber Saxo Grammaticus schrieb in seiner "Historica Danicae" über die Statue: "In der Rechten hielt die Figur ein Trinkhorn, aus verschiedenen Metallen gebildet. Das hat der Priester jedes Jahr mit Met gefüllt und weissagt aus dem, was im Laufe des Jahres verschwunden ist, auf die kommende Ernte."

Im 12. Jahrhundert beendeten Dänen die 700 Jahre dauernde Götterverehrung der slawischen Ranen. Sie stürmten die Burg, zerstörten die Swantevit-Statue und christianisierten den slawischen Stamm innerhalb weniger Jahrzehnte.

Übrig geblieben sind bis heute Reste der Wallburgen Charenza bei Garz, Rugard bei Bergen und die Jaromarsburg am Kap Arkona. Von einer Aussichtsplattform kann man die 13 Meter hohen Erdwälle der Jaromarsburg sehen.

Leuchtturm am Kap Arkona

Am Kap Arkona gibt es noch Spuren der Slawen

Leibeigene

Die "Bauern- und Schäferordnung" setzte 1616 die traditionelle Leibeigenschaft von Bauern per Gesetz fest. Auch die Rügener Bauern verloren ihr Recht an Haus und Äckern, sie mussten für ihre "Leibherren" Dienste verrichten und Abgaben leisten.

1803 sorgte der Autor Ernst Moritz Arndt mit seiner Schrift "Geschichte der Leibeigenschaft in Pommern und Rügen" für Unruhe: Unverhohlen beschrieb und prangerte der Rüganer die Leibeigenschaft an. Sein Vater selbst war kurz vor seiner Geburt aus der Leibeigenschaft entlassen worden.

Einen Höhepunkt der Leibeigenschaft bildete das "Bauernlegen", ein Dazu-"legen" von Bauernland. Um ihre Ländereien zu vergrößern, zerstörten Gutsherren Dörfer. Ernst Moritz Arndt berichtete, dass manche mit ganzen Dörfern untereinander Handel trieben:

"Dies veranlasste an manchen Stellen förmliche Bauernaufstände, welche durch Soldatenentsendung und Einkerkerung gedämpft werden mussten. Auch wurden, wie es munkelte, einzelne böse Edelleute und Pächter gelegentlich wie Tiberius durch nächtliche Überfälle unter Kissen erstickt."

Gemälde von Ernst Moritz Arndt

Ernst Moritz Arndt prangerte die Leibeigenschaft an

Nur sehr wenigen Bauern gelang es, sich aus der Leibeigenschaft "loszukaufen". Präpositus Picht, Pastor in Gingst, bekam 1774 als Erster die Erlaubnis, die Leibeigenschaft in seiner Pfarrei aufzuheben. Sieben Jahre später waren von 21.000 Rüganern 6000 freie Bürger.

Historiker nehmen an, dass die Schrift Ernst Moritz Arndts von 1803 den schwedischen König Gustav IV. Adolf beeinflusste. Drei Jahre später hob die schwedische Krone, unter dessen Herrschaft Rügen seit Mitte des 17. Jahrhunderts stand, die Leibeigenschaft auf.

Urlaubsparadies der Nazis

In den 1930ern entstand auf Rügen eines der größten Propaganda-Bauwerke in Deutschland. Im Osten der Insel, in der Bucht von Prora, wollte Hitler ein riesiges Seebad errichten, in dem 20.000 Deutsche gleichzeitig Urlaub machen können.

Im Rekordtempo zogen Baufirmen den Rohbau hoch. Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs wurden die Bauarbeiten abrupt eingestellt, die Arbeiter wurden für den Bau eines Raketentestgeländes auf der Nachbarinsel Usedom gebraucht.

Heute erinnert das riesige graue Betongebäude noch immer an Adolf Hitlers Seebad-Vision. Über vier Kilometer zieht es sich zwischen Sandstrand und Kiefern an der Bucht von Prora entlang. Teilweise liegt der Bau in Ruinen, in anderen Gebäudeteilen befinden sich eine Jugendherberge oder private Ferienwohnungen. Museen informieren in der Anlage über die Geschichte von Prora.

Luftbild der Anlage von Prora

Prora: Tourismus für die Massen

Vor und nach der Wende ein Touristenmagnet

Nach dem Zweiten Weltkrieg gehörte Rügen zur DDR. Die Regierung beabsichtigte, Rügen zum Ferienort für die Arbeiterklasse zu machen.

Sie enteignete Gutsbesitzer, Hoteliers und Pensionsbesitzer und übergab deren Häuser an staatliche Unternehmen sowie Gewerkschaften. Diese nutzten Ende der 1950er-Jahre die Bauten als Betriebs- und Gewerkschafts-Ferienheime. Zeltplätze und Jugendlager wurden errichtet. Mehr als 300.000 Urlauber besuchten Rügen in den 1960er-Jahren.

Zur Wende knickte die Wirtschaft ein, 30 Prozent der Rüganer standen ohne Arbeit da. Die Ferienhäuser des ehemaligen Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes standen leer, DDR-Bürger suchten nach Ferienzielen jenseits der gefallenen Grenzen. Westdeutsche erwarteten für ihren Urlaub einen höheren Standard, den Rügen zu diesem Zeitpunkt nicht bot.

Zunächst lähmte eine Klagewelle enteigneter Guts- und Hausbesitzer Unternehmer, die in die Insel investieren wollten. Aber ab 1991 stiegen die Besucherzahlen wieder an.

Verfallene Strandvillen aus dem 19. oder 20. Jahrhundert wurden in den 1990er-Jahren wieder aufgebaut und ganze Orte renoviert. Seit Ende der 1990er-Jahre besuchen jährlich mehr als eine Million Touristen die größte Insel Deutschlands.

Landschaft mit blühenden Rapsfeldern und Meer auf Rügen.

Blühende Rapsfelder auf Rügen

(Erstveröffentlichung: 2004. Letzte Aktualisierung: 17.08.2020)

Quelle: WDR

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