Der reiche Industrielle und seine Muse
Begonnen hat alles mit einer aufmüpfigen Baroness aus dem Elsass. Anfang des 20. Jahrhunderts flieht Hilla von Rebay vor ihrer gestrengen Familie nach Paris, nimmt dort Kunstunterricht, stürzt sich bald in das wilde Bohème-Leben von München und Berlin, hat leidenschaftliche Affären und bisweilen auch mit ihrer Malerei Erfolg – bis sie sich 1926 nach Amerika einschifft.
Dort lernt sie, 38-jährig, den fast 30 Jahre älteren Industriellen Solomon R. Guggenheim kennen. Kupferkönig wird er genannt – seine Familie ist mit Kupfer-, Gold- und Diamantminen unvorstellbar reich geworden – und bis Hilla in sein Leben tritt, interessiert er sich dem Vernehmen nach vor allem fürs Golfen.
Was nun folgt, wird Museumsgeschichte schreiben. Auf ausgedehnten Europareisen tragen Solomon Guggenheim und Hilla von Rebay eine Kunstsammlung von heute unschätzbarem Wert zusammen. Die Baroness sieht die Zukunft der Kunst vor allem in der abstrakten Malerei eines Wassily Kandinsky – für Amerika damals sehr mutig.
Und ihr Mäzen? Der freut sich, dass er auf diese Weise endlich gleichziehen kann mit der anderen wichtigen Stifter-Dynastie, den Rockefellers, die das gerade entstehende "Museum of Modern Art" (MoMA) finanzieren.
Denn eines unterscheidet die USA bis heute von Europa: Kunst zu fördern, zu sammeln und einem breiten Publikum zugänglich zu machen, ist in den Staaten nicht Aufgabe der öffentlichen Hand, sondern Privatvergnügen reicher Stifter – und deren Prestigeprojekt. Kunst ist also nicht nur Kunst, sondern immer auch Mittel zum Zweck.
Kupferkönig mit einem Faible für Kunst: Solomon Guggenheim
Kunst, Entertainment und ein Riesenfisch
An genau dieses Erbe knüpft gut ein halbes Jahrhundert später der 1988 berufene Guggenheim-Direktor Thomas Krens an. Als studierter Volkswirt will er der etwas behäbig gewordenen Stiftung neue Geldquellen erschließen und mehr Besucher ins Museum locken – und erweitert dafür bewusst die Grenzen dessen, was in der Branche bis dahin als museumswürdig gilt. "Die Kunst des Motorrades" heißt eine seiner Ausstellungen, mit der Modefirma "Boss" lobt er einen Kunstpreis aus, und dem Designer Armani widmet er eine eigene Retrospektive.
Gleichzeitig steigen die Besucherzahlen im Haus in New York von jährlich 450.000 auf mehr als drei Millionen. Dass Giorgio Armani kurz vor seiner Retrospektive der Stiftung eine Spende im zweistelligen Millionenbereich zukommen lässt – für Guggenheim-Direktor Krens nichts Ehrenrühriges.
Dann der nächste Schritt: Krens will sein Museum zur globalen Marke ausbauen. Und dafür ist vor allem eins wichtig: ein hoher Wiedererkennungswert. Das New Yorker Haus mit seiner spektakulären Gestalt hat es vorgemacht.
Für die spanische Dependance in Bilbao engagiert Krens den Stararchitekten Frank O. Gehry. Und bekommt eine wunderbar pompöse Museumskathedrale – ein Gebäude, das sich wie ein zerknautschter Riesenfisch an den Nervión-Fluss mitten in Bilbao schmiegt; das mit seiner Fassade aus Kalkstein, Glas und Titan im Sonnenlicht geheimnisvoll glitzert und nachts golden leuchtet.
Der Gegend um Bilbao, einer ehemaligen Industrieregion, beschert der Bau einen ungeahnten Aufschwung. Seit seiner Eröffnung zählt das Museum fast eine Million Besucher pro Jahr, knapp zwei Drittel davon reisen eigens aus dem Ausland an. Direkt und indirekt hängen in der Region mittlerweile mehrere tausend Arbeitsplätze vom Guggenheim-Koloss ab.
Gewagte Kurven: das Guggenheim in Bilbao
"McGugg": Kultur als Fast Food?
Kein Wunder, dass Bilbaos Lokalpolitiker das Guggenheim für die Investition feiern. Seitdem sollen weit mehr als 100 Städte beim Guggenheim ebenfalls eine solch standortfördernde Kunstmaßnahme angefragt haben.
Doch die gibt es natürlich nicht umsonst. Die Bau- und Unterhaltskosten des Museums, so der Deal, muss die Kommune selbst tragen, die Gewinne gehen größtenteils ans Guggenheim-Imperium. Ein Recht auf Mitsprache bei den dort gezeigten Ausstellungen gibt es nur sehr eingeschränkt.
Für jeden ordentlichen Museumsdirektor eigentlich ein Alptraum: Anstatt sich eine eigene Sammlung aufzubauen, anstatt eigene konzeptionelle Ideen umzusetzen, stellt man sein Haus nur als eine Art leere Bühne zu Verfügung – eine Bühne, die von fremder Hand bespielt wird, ganz den Gewinnerwartungen des New Yorker Mutterhauses entsprechend. Im Einzelhandel kennt man das Prinzip: Franchising heißt es, und jede McDonald's-Filiale funktioniert danach. Aber sollte auch der Kunstbetrieb so funktionieren?
Manche Kommunen, die sich ursprünglich um ein Guggenheim beworben hatten, haben diese Frage jedenfalls verneint. Prominentestes Beispiel: Rio de Janeiro, wo eigentlich 2007 eine Guggenheim-Dependance ihre Pforten hätte öffnen sollen. Zu teuer, meinten viele – 30 Millionen Dollar wollte das Guggenheim an Lizenzgebühren, 130 Millionen sollte der Bau kosten.
In den brasilianischen Feuilletons sprach man gar von einem "neuen Kolonialismus": Europäisch-amerikanische Vorstellungen dessen, was gute Kunst bedeute, sollten einer anderen Kultur einfach übergestülpt werden.
Tatsächlich leben die großen Blockbuster-Schauen des Guggenheim meistens von den immergleichen Namen, vom westlichen Kunstzirkus um die Warhols, Beuys' und Shermans. Regionale ästhetische Besonderheiten drohen in dieser globalen Vereinheitlichung unterzugehen.
Diktatur des Immergleichen?
Ab in die Wüste – die Zukunft des Guggenheim
Und langfristig sind die Guggenheim-Ableger nicht immer erfolgreich. Während die Filialen in Bilbao und Venedig bis heute florieren, konnten sich die Guggenheim-Museen in Berlin, Las Vegas und Mexiko nur einige Jahre behaupten.
Schon seit 2006 in Planung und bis heute nicht eröffnet ist das erste Guggenheim in der arabischen Welt, in der Ölmetropole Abu Dhabi am Persischen Golf. Geplant ist ein riesiges Kulturzentrum, das vier Museen, einer Konzerthalle und einem Biennalegelände Platz bieten wird. Die Planungen sind bereits seit vielen Jahren abgeschlossen, der Bau ist jedoch auf unbestimmte Zeit verschoben worden.
Was wohl Guggenheim-Gründerin Hilla von Rebay dazu sagen würde? Schließlich war für sie die Kunst eine "Sphäre reiner Geistigkeit" – und nichts, was man zu Prestigezwecken an kunstbeflissene Ölmagnaten in der arabischen Wüste verkauft. Allerdings: Unbefangen und ungehemmt größte Dollarsummen hin- und herschieben – das konnte auch sie ganz gut.
Abu Dhabi, Sitz der nächsten Guggenheim-Filiale?
(Erstveröffentlichung 2007. Letzte Aktualisierung 26.01.2022)
Quelle: WDR