Kampf gegen Cannabis
Im Januar 1920 wurden die USA per Gesetz "trockengelegt": Konsum und Handel von Alkohol waren in Amerika per Gesetz durch die Prohibition verboten. Während die Besserverdienenden sich auf illegalem Wege hergestellten Alkohol leisteten, griff die ärmere Bevölkerung verstärkt auf das von den karibischen Zuckerrohrplantagen und aus Mexiko in die USA eingeführte Marihuana zurück.
Dessen Besitz und Konsum wurde aber ab 1933 ebenfalls verboten und nun der Alkohol wieder erlaubt. Es begann ein Kampf gegen Cannabis, bei dem es um weit mehr als die Gesundheit der Bevölkerung ging.
Genussmittel des 19. Jahrhunderts
Die psychoaktiven Substanzen des Hanfs, die bewusstseinsverändernd wirken, sind seit alters her dem Menschen geläufig. Jahrhundertelang galt THC-haltiger Hanf daher als ein heiliges Mittel, eine Ritualpflanze, die der Mensch bei religiösen Praktiken und Liturgien, zur Meditation und Innenschau einsetzte. THC ist die Abkürzung für Tetra-hydro-cannabinol und bezeichnet die psychoaktive Substanz der Hanfpflanze.
Das rauschfördernde Cannabis wurde darüber hinaus noch im 19. Jahrhundert vielerorts als Genussmittel konsumiert, das zur Entspannung und Regeneration beitrug. Als eindrucksvolles Beispiel dafür gilt Wilhelm Buschs Bildergeschichte "Krischan mit der Piepe".
Noch 1860 gehörte THC-haltiger Ahornsirup-Haschisch-Konfekt zu den beliebtesten Süßigkeiten der USA: Cannabis-Extrakte waren im 19. Jahrhundert in allen Apotheken zu haben. Sie wurden Kindern regelmäßig verschrieben, die Rauschwirkung war bestens bekannt. Cannabis galt als stimulierendes, aber auch beruhigendes Präparat, die antibakterielle Wirkung des Haschischs als probates antiseptisches Mittel.
Verbot in den USA
Um 1883 öffneten in den USA zahlreiche Rauchsalons ihre Türen und warben mit Hasch-Pfeifen um Konsumenten. Ein Jahrhundert später, im Jahr 1990, wurden allein in den USA 390.000 Menschen wegen Marihuana-Besitz festgenommen. In nur 100 Jahren war die allseits beliebte und benötigte Hanfpflanze nicht nur als Rauschmittel, sondern auch als Rohstofflieferant verdrängt, verdammt und verbannt worden. Was war passiert?
Der Grund, weshalb Cannabis in der abendländischen Kultur des 20. Jahrhunderts solch ein negatives Image bekommen hat, liegt in der inneramerikanischen Geschichte: Cannabis und Alkohol galten im 19. Jahrhundert in den USA als völlig legale Genussmittel. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts gab es in den USA puritanische Strömungen, die ein alkoholfreies Amerika schaffen wollten.
Dieser Bewegung für ein "trockenes" und "sauberes" Amerika – der sogenannten "Anti-Saloon-Liga" – schlossen sich bald mächtige Lobbyisten an, wie etwa der Industrielle John D. Rockefeller. Allerdings aus völlig anderen Motiven: Wenn Kneipen durch ein generelles Alkoholverbot geschlossen würden, wäre auch politischen Zusammenkünften des kleinen Mannes eine wichtige Basis entzogen.
Konkret wollten die Magnaten politische Aktivitäten verhindern, die zur Interessensvertretung unterer Schichten, womöglich zur Gründung von Gewerkschaften führten.
Kreuzzug gegen Cannabis
1933 hob US-Präsident Franklin Roosevelt die 1920 eingeführte Alkohol-Prohibition auf. Sie hatte nie wirklich funktioniert, das Gesetz war unglaubwürdig geworden.
Etwa 8000 Arbeitskräfte, Polizisten und Kontrollbeamte, die für die Überwachung der Prohibition zuständig gewesen waren, standen nun ohne Arbeit da. So unterstützte die US-Regierung das eigens eingerichtete Drogendezernat "Federal Bureau of Narcotics" bei dem nun beginnenden Kampf gegen den Hanf.
Der Chef des Dezernats Harry Anslinger begann eine groß angelegte Kampagne gegen Cannabis. Tausende Amerikaner wurden zu hohen Geldstrafen und Gefängnis verurteilt.
Es war eine diffuse Mischung aus Geltungssucht, Misstrauen und rassistisch motivierter Abneigung gegenüber den schwarzen Amerikanern, die zu den Armen der Gesellschaft gehörten und Cannabis konsumierten, welche Anslingers Propagandamaschine an Fahrt gewinnen ließ. Cannabis war zum Symbol einer durch den Rassismus polarisierten US-Gesellschaft geworden.
Harry Anslinger
Beseitigung eines unliebsamen Rohstoffs
Harry Anslinger propagierte vor dem US-Kongress einen direkten Zusammenhang zwischen krimineller Energie, Gräueltaten und Cannabis und bekräftigte seine autoritäre Anti-Hanfpolitik durch aufwendige Werbekampagnen und Razzien.
Längst war die hauptsächlich farbige amerikanische Jazz- und Swingszene den konservativen US-Politikern ein Dorn im Auge.
Anslingers Kampagne gegen Cannabis wurde daher staatlich geduldet, da sie eine Form der Kontrolle über als subversiv eingeschätzte Bevölkerungsgruppen darstellte. Das "Cannabis-Problem" wurde von führenden Industriellen begierig aufgegriffen, da auf diese Weise der unliebsame Rohstoffkonkurrent Hanf bequem aus dem Wege geräumt werden konnte.
Besonders der Chemie-Konzern DuPont und der Waldbesitzer und Zeitungsmagnat Hearst förderten und finanzierten das "Bureau of Narcotics" in seinem großen Feldzug gegen den Hanf. Und das mit Erfolg, denn bereits im Jahr 1937 setzte der "Marihuana Tax Act" dem Hanfanbau in den USA schlagartig ein Ende.
Gestellter Hanf-Fund
Single-Convention
Der Feldzug gegen Cannabis war für Anslinger nur der Aufhänger zu einem weitaus größeren Coup gegen das "heruntergekommene Amerika": Anslinger plante, in einer einzigen Nacht einen Großteil der afroamerikanischen Jazz- und Swingmusiker zu verhaften.
Zwischen 1943 und 1948 ließ er umfangreiche Dossiers über unzählige Musiker anlegen. Ihnen allen gemeinsam: Sie waren schwarz, sie spielten Jazz, sie rauchten Marihuana. Zu dieser umfassenden Verhaftungsaktion Anslingers kam es nie.
Anslinger ließ sich aufgrund seiner fanatisch betriebenen Ermittlungen nach dem Zweiten Weltkrieg nicht länger halten und wurde zu den gerade neu gegründeten Vereinten Nationen versetzt. Dort besiegelte er seine Anti-Cannabis-Kampagne mit der noch immer gültigen "Single Convention on Narcotic Drugs" (Einheitsabkommen über die Betäubungsmittel), die Cannabis bis heute als eine der gefährlichsten Drogen der Menschheit klassifiziert.
Bis zum heutigen Tag ist das irrationale Element der mit extremer Härte geführten Anti-Hanf-Kampagne im US-amerikanischen und europäischen Denken spürbar. Aus dieser Geschichte der Hanf-Diffamierung lässt sich auch die Protestkultur der 68er-Bewegung erklären, die durch den Konsum von Cannabis ihrer Haltung gegen bestehende politische Verhältnisse Ausdruck verleihen wollte.
Cover einer "Anti-Marihuana"-Veröffentlichung
Quelle: SWR | Stand: 08.05.2020, 12:40 Uhr