Qualitätssicherung statt Landidylle
Ein neugeborenes Kälbchen untersuchen, anschließend ein gemütlicher Plausch mit dem Bauern, bevor es im Geländewagen zum nächsten Bauernhof geht, vorbei an Sonnenblumenfeldern, Schafweiden und Pferdekoppeln – mit dieser Landidylle hat das Berufsbild des Großtierarztes, der sich um Rinder, Schweine, Pferde und Schafe kümmert, wenig zu tun.
Stattdessen beginnt sein Tag oft mit der Fleischbeschau in einem Mast- oder Zuchtbetrieb. Die Untersuchung des Schlachtviehs auf Parasiten gehört ebenso dazu wie regelmäßige Kontrolluntersuchungen der lebenden Tiere auf Seuchen.
Denn die Qualitätssicherung in der Lebensmittelerzeugung ist ein wesentlicher Aspekt bei der Arbeit des Landtierarztes. Schließlich vertraut der Verbraucher dem Veterinär, dass nur Lebensmittel von höchster Qualität auf seinem Esstisch landen.
Plastikhandschuhe, die bis zur Schulter reichen
Der Arbeitsalltag von Landtierärzten ist nicht nur abwechslungsreich, sondern auch körperlich anstrengend. Mal werden einem Pferd die Zahnspitzen abgeschliffen, mal wird kontrolliert, ob die Hormonbehandlung eines Rinds erfolgreich war. Besamungen und Trächtigkeitsuntersuchungen sind ebenso an der Tagesordnung wie das Röntgen in der dunkelsten Ecke des Stalls.
Zum Glück gehören der Kaiserschnitt an der stehenden Kuh oder die Notfallbehandlung eines wilden Bullen nicht zur täglichen Routine. Doch oft steckt der Landtierarzt mit dem Plastikhandschuh bis zur Schulter in einer Körperöffnung seines Patienten und tastet nach Zysten oder dreht ein Kalb in der Gebärmutter.
Der enorme Kraftaufwand, lange Arbeitszeiten mit Bereitschaftsdiensten rund um die Uhr und ein vergleichsweise geringer Verdienst haben dazu geführt, dass frei werdende Großtierarztpraxen in ländlichen Gebieten oft gar nicht mehr nachbesetzt werden. Die stetig weniger werdenden Landärzte müssen also immer weitere Anfahrtswege bewältigen, um zu ihren Patienten zu gelangen. Und das kann schon mal mitten in der Nacht sein, denn kalbende Kühe oder kranke Pferde halten sich nicht an die Öffnungszeiten der Tierarztpraxis.
Alltag als Tierarzt: Eine Kuh wird untersucht
High-Tech-Diagnostik im Kuhstall
So wie sich in der Tiermedizin Diagnose- und Therapieformen mit dem Fortschritt der Wissenschaft ändern, so hat sich auch der Beruf des Veterinärs in den vergangenen 50 Jahren grundlegend gewandelt. Zwar ist der Landtierarzt noch immer mit Gummistiefeln in der Stallgasse unterwegs, doch die Trächtigkeitsuntersuchungen von Kühen führt er inzwischen mit modernster Ultraschalltechnik durch.
Zur Standardausrüstung gehören auch mobile Röntgengeräte, mit denen er vor Ort ein krankes Tier untersuchen kann. Trotzdem entscheiden in den landwirtschaftlichen Betrieben meist ökonomische Kriterien darüber, ob ein krankes Tier geschlachtet oder teuer behandelt wird – ganz im Gegensatz zu den Kleintierpraxen im städtischen Raum, wo viele Tierbesitzer bereit sind, für die Hüftprothese des Hundes oder die psychologische Betreuung der Katze auch mal etwas tiefer in die Tasche zu greifen.
Pferdeflüsterer kennt man spätestens seit Robert Redfords bildgewaltigem Tierdrama. Und vereinzelt gibt es neuerdings auch Tiertherapeuten, die mit Low-Stress-Programmen versuchen, Rindern, Schafen und anderen Herdentieren zu einem gesünderen und leistungsfähigeren Leben zu verhelfen. Doch die meisten Landwirte stehen den Tierflüsterern noch skeptisch gegenüber.
Gemeinschaftspraxen als Zukunftsperspektive
Tierärzte gibt es eigentlich genug, doch die meisten ziehen die städtische Kleintierpraxis mit geregelten Öffnungszeiten dem unberechenbaren Berufsalltag des Landtierarztes vor. Zudem lassen sich 14-Stunden-Tage, Wochenenddienste und ständige Bereitschaften schlecht mit dem Familienleben vereinbaren. Auch die besseren Einkommensaussichten in den Ballungsräumen mit zahlungswilliger Kundschaft verstärken den Negativtrend auf dem Land, wo es für Großtiere immer weniger Fachärzte gibt.
Vertreter von Hochschulen und Verbänden sind sich einig, dass eine Strukturreform längst überfällig ist. Während in Deutschland noch die traditionelle Einzelpraxis unter Landärzten vorherrscht, ist man in anderen Ländern bereits weiter. Dort haben sich Gemeinschaftspraxen, in denen sich mehrere Kollegen in Schichten organisieren, als Erfolgsmodell für die Zukunft bewährt.
Dass hier auch familienfreundliche Teilzeitstellen und freie Wochenenden möglich sind und überdies noch genügend Raum für Freizeit bleibt, könnte die Nachwuchssorgen unter deutschen Landärzten mittelfristig zerstreuen.
Quelle: SWR | Stand: 03.03.2020, 11:00 Uhr