Schwarzweiß-Bild: Ein Mitarbeiter des Deutschen Roten Kreuzes zeigt einer Frau ein Buch mit Bildern von Soldaten.

Nachkriegszeit

Suchdienste in der Nachkriegszeit

Millionen von Menschen wurden während des Zweiten Weltkriegs voneinander getrennt. Jeder vierte Deutsche war nach dem Krieg auf der Suche nach Angehörigen oder wurde selbst gesucht. Deshalb gründete das Deutsche Rote Kreuz einen Suchdienst.

Von Claudia Heidenfelder und Kerstin Eva Dreher

Das Kartei-Begegnungsverfahren

Auch Hunderttausende Kinder hatten ihre Eltern verloren – vor allem während des Zweiten Weltkriegs und auf den Flüchtlingstrecks aus dem Osten. An Hauswänden, Litfasssäulen und Laternenmasten klebten damals tausende Bilder und Namen von verzweifelt Gesuchten.

Mitten im Flüchtlingschaos im Frühjahr 1945 gründeten zwei Offiziere ohne irgendeinen offiziellen Auftrag ein Flüchtlingshilfswerk: Oberleutnant Helmut Schelsky und Leutnant Kurt Wagner hatten an der Ostfront gekämpft. Auf ihrem Rückzug sahen sie in Flensburg Zehntausende Flüchtlinge auf der Suche nach einer Unterkunft und in der Hoffnung, Angehörige wiederzufinden. Wenigstens dabei wollten sie ihnen helfen.

DRK gründet Suchdienst-Verbindungsstelle (am 30.07.1947)

WDR Zeitzeichen 30.07.2022 14:40 Min. Verfügbar bis 30.07.2099 WDR 5


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Mit Hilfe der Listen der registrierten Flüchtlinge errichteten sie eine Dienststelle: "Deutsches Rote Kreuz, Flüchtlingshilfswerk, Ermittlungsdienst, Zentral-Suchkartei".

Auf dem Foto sieht man Mitarbeiter des Suchdienstes bei der Befragung von Heimkehrern. Im Hindergrund stehen unzählige Karteikästen.

In den Nachkriegsjahren wuchs die Zahl der Suchanträge täglich

Schelsky und Wagner gingen davon aus, dass jeder Gesuchte auch seinerseits ein Suchender sein würde. Um die Getrennten wieder zusammenführen zu können, begannen sie eine Doppelkartei aufzubauen.

Für jeden Fall wurden zwei Karteikarten ausgefüllt und separat abgeheftet. Auf der einen – der Stammkarte – verzeichnete man die Personalien und die Anschrift des Suchenden, auf der anderen – der Suchkarte – alle Angaben über die Gesuchten. Wer nicht wusste, wo er den anderen finden sollte, konnte darauf hoffen, dass sich die beiden Karteikarten in einem Karton wiedertrafen. Das sogenannte Karteibegegnungsverfahren war geboren.

"Kinder suchen ihre Eltern"

Allein 500.000 Kinder wurden auf den Karteikarten erfasst, zusammen mit allen möglichen Details: Fundort, Kleidungsstücke, Muttermale, Narben oder Spielzeug, das die Kinder bei sich hatten. Denn vor allem die kleinen Kinder wussten oft nicht einmal ihren Namen. Und nur wenige von ihnen trugen eine Erkennungsmarke – ein Versäumnis des NS-Regimes.

Damit diese Kinder dennoch eine Chance hatten, ihre Eltern wiederzufinden, stellte man Bildkarteien und Suchplakate zusammen. Radio und Fernsehen übertrugen Suchmeldungen, Zeitungen druckten Plakate mit den Bildern der Kinder.

Die Kleinkinder wuchsen heran, ihre Gesichter veränderten sich. Je mehr Zeit verstrich, desto unwahrscheinlicher wurde die Chance, noch von Angehörigen gefunden zu werden. 1982 verließen die letzten Druckplakate die Druckerei. 

Doch oft hatte der Suchdienst des DRK Erfolg. Bis zum Mai 1950 wurden dort 16 Millionen Suchanträge zu vermissten Kindern und Erwachsenen gestellt. Fast neun Millionen Schicksale konnten laut Auskunft des Roten Kreuzes bis heute geklärt werden. Bis heute sind noch 1,3 Millionen Schicksale des Zweiten Weltkriegs ungeklärt.

Alte Karteikästen des Suchdienstes des Deutschen Roten Kreuz

Alte Karteikästen des Suchdienstes des Deutschen Roten Kreuz

Öffnung der östlichen Archive

Viele der verschollenen deutschen Soldaten waren an der Front im Osten das letzte Mal gesehen worden. Ihr Schicksal blieb lange ungeklärt. Waren sie gefallen? In Kriegsgefangenschaft geraten? In einem Lager inhaftiert? Wo waren ihre Gräber? – Fragen, die lange nicht geklärt werden konnten.

Jahrzehntelang bemühte sich die westdeutsche Seite vergeblich um Zugang zu den sowjetischen Unterlagen. Erst nachdem Michail Gorbatschow 1989 Staatsoberhaupt wurde, zeigte sich ein Hoffnungsschimmer.

Viele Karteikästen in Regalen.

Die zentrale Kartei des DRK-Suchdienstes umfasst rund 60 Millionen Karteikarten

Seit dieser Zeit werden immer wieder neue Vereinbarungen über den Austausch und die Zusammenarbeit der Rotkreuz-Gesellschaften in beiden Ländern getroffen. Viele Archive haben ihre Pforten geöffnent und noch heute kommen unzählige Feldpostbriefe zutage, die Aufklärung schaffen.

Zwar handelt es inzwischen, mehr als 75 Jahre nach Kriegsende, um sogenannte "Totenkarteien". Dennoch: Für einen Angehörigen ist es auch heute noch wichtig zu wissen, wie und wo zum Beispiel sein Vater gestorben ist, was er bei sich trug und wo er beerdigt wurde.

Alte und neue Aufgaben

Mehr als 17 Millionen Menschen wurden über den Suchdienst wieder miteinander in Verbindung gebracht. Mehr als eine Million Schicksale von Soldaten und Zivilgefangenen und fast 300.000 Kinderschicksale konnten geklärt werden.

Dennoch: Weit ein halbes Jahrhundert nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges gelten noch immer 1,4 Millionen Deutsche als verschollen. Und beinahe täglich kommen neue Konflikte oder Naturkatastrophen hinzu, die die Arbeit des Suchdienstes nicht zur Ruhe kommen lassen.

Immer wieder gibt es neue Flüchtlinge, die im Bürgerkriegschaos – zum Beispiel in Syrien – ihre Angehörigen unter anderem auch in Deutschland suchen. Darum arbeitet der Suchdienst des DRK eng mit dem "Internationalen Komitee des Roten Kreuzes" zusammen. Dieses betreibt eine zentrale Suchdienstagentur, die "Central Tracing Agency" für alle Krisen- und Konfliktgebiete.

DRK-Präsident Rudolf Seiters präsentiert am 04.05.2015 in Hamburg auf einer Pressekonferenz zur Gründung des DRK-Suchdienstes vor 70 Jahren ein aktuelles Plakat, das für die Online-Suche wirbt

Der Suchdienst des DRK erhält bis heute viele Anfragen von Flüchtlingen

(Erstveröffentlichung 2004. Letzte Aktualisierung 29.05.2019)

Quelle: SWR / WDR

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