Schulgeschichte
Schulnoten
Seit wann gibt es Noten in der Schule? Warum reicht die Skala von der Eins bis zur Sechs? Und geht es nicht auch ohne? Über den Sinn und Zweck von Schulnoten gibt es keine einhellige Meinung.
Von Ingo Neumayer
Jesuitenschulen führten Notensystem ein
Die Bildung und somit auch die Beurteilung in den Schulen lag jahrhundertelang in der Hand der Kirche. Vor allem in Klöstern wurde der meist adelige Nachwuchs religiös und geschichtlich geschult.
Besonders engagiert in der Bildung war der 1534 gegründete Orden der Jesuiten. Dieser strukturierte in seinen Klosterschulen den Unterricht und führte das Klassensystem ein.
Wer in eine höhere Klasse gelangen wollte, musste eine Prüfung ablegen. Diese wurde von den Lehrern bewertet, und dafür führte man klare Regeln zur Beurteilung der Schülerleistungen ein: ein fünfstufiges Notensystem, das aus lateinischen Ziffern bestand. Dieses System bildet bis heute die Grundlage für die Noten, die an deutschen Schulen vergeben werden.
Notengebung geht auf die Jesuiten zurück
Abitur als Reifezeugnis
Ab Mitte des 18. Jahrhunderts übernahmen viele Schulen das mehrstufige System der Jesuiten. Nach und nach führten die deutschen Staaten die allgemeine Schulpflicht ein, der Unterricht fand zunehmend auch außerhalb der Kirchen und Klöster statt.
1788 wurde in Preußen erstmals ein Reifezeugnis ausgestellt, das belegen sollte, dass die Schüler geeignet waren, ein Studium an einer Universität aufzunehmen: das Abitur. Das war eine grundlegende Neuheit für die damalige Zeit. Denn somit konnte man sich unabhängig von seinem sozialen Status nur aufgrund seiner schulischen Leistungen für eine höhere berufliche Laufbahn empfehlen.
Zeugnisse wurden meist auf Nachfrage ausgestellt; in der Regel nur dann, wenn man die Schule verließ. Eine regelmäßige Benotung, anhand der man Fort- oder Rückschritte der Leistungen über einen längeren Zeitraum nachvollziehen konnte, war nicht üblich. Zudem kostete ein Zeugnis in der Regel eine Gebühr.
Im 19. Jahrhundert gingen nur wenige Schüler auf das Gymnasium
1938: Die Sechs wird eingeführt
Lange Zeit herrschte keine Einheitlichkeit bei der Notenskala. Manche Schulen hatten ein dreistufiges System, andere ein vierstufiges. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts vergaben die meisten Schulen in Deutschland fünf Noten: die Eins für sehr gute, die Fünf für nicht ausreichende Leistungen.
1938 wurde in ganz Deutschland die Note Sechs (ungenügend) eingeführt. Bildungsforscher wie der Würzburger Pädagogik-Dozent Johannes Jung vermuten, dass das geschah, weil zu viele Dreien vergeben wurden. Bei einem fünfstufigen System tendierten viele Lehrer dazu, die mittlere Note zu vergeben, glaubt Jung. Diese Tendenz könne man mit einer geraden Anzahl an Noten verhindern.
1916 kostete ein Zeugnis 45 Pfennig Gebühr
DDR-Abschlussnoten wurden heruntergerechnet
Auch nach dem Zweiten Weltkrieg gab es in Westdeutschland das sechsstufige Notensystem. Mit der Oberstufenreform Anfang der 1970er Jahre bekamen die Schüler der höheren Klassen ein neues Notensystem, das 16 Stufen umfasste. 15 Punkte entsprechen dabei einer 1+, während ein Kurs mit 0 Punkten (ungenügend) als "nicht belegt" gilt.
In der DDR kehrte man nach dem Krieg zum fünfstufigen Notensystem zurück: sehr gut, gut, befriedigend, genügend und ungenügend. Ein Punktesystem in der Oberstufe wie im Westen gab es nicht.
Nach der deutschen Wiedervereinigung 1990 bemängelten Politiker das unterschiedliche Bildungsniveau in Ost und West und die fehlende Vergleichbarkeit der Noten und Abschlüsse. Als Folge wurden die DDR-Abschlussnoten um den Faktor 1,2 beziehungsweise 1,3 heruntergerechnet. So sollte eine größere Gerechtigkeit bei der Vergabe von Studien- und Ausbildungsplätzen hergestellt werden, da Bildungsexperten davon ausgingen, dass in der DDR tendenziell "zu gut" benotet wurde.
DDR-Noten waren nach der Wiedervereinigung "weniger wert"
Bundesländer haben Bildungshoheit
Wegen des föderalen Systems in Deutschland, das die Bildung unter Hoheit der Bundesländer stellt, gab es immer wieder Diskussionen über die Vergleichbarkeit der Abschlüsse in verschiedenen Ländern. So wurde in den 1970er Jahren bei der Bewerbung um einen Studienplatz die Abiturnote je nach Bundesland um mehrere Zehntel korrigiert.
Entscheidend war die Abitur-Durchschnittsnote des Bundeslandes. Lag diese über dem Bundesdurchschnitt, gab es einen Malus, lag sie darunter, einen Bonus. Erst das Bundesverfassungsgericht stoppte dieses Verfahren.
Und auch heutzutage bedeuten identische Noten in den einzelnen Fächern nicht unbedingt eine identische Abiturnote. Je nach Bundesland können Fächer stärker oder schwächer gewichtet werden. Auch die Möglichkeit, schlechte Ergebnisse zu streichen, besteht mal mehr, mal weniger.
In einer Beispielrechnung eines fiktiven Schülers zeigte die "FAZ" 2014 auf, dass man bei identischen Noten in Nordrhein-Westfalen im Abitur einen Schnitt von 2,2 haben kann, während man in Sachsen-Anhalt auf einen Schnitt von 2,8 kommt.
Kopfnoten: Eine Modefrage
Neben den Noten in den Unterrichtsfächern werden in manchen Bundesländern die Mitarbeit und das Sozialverhalten benotet. Meist geschieht das anhand einer vierstufigen Skala. Da diese Noten auf dem Zeugnis oft über den Fächernoten platziert sind, nennt man sie Kopfnoten. Der Sinn dieser Noten wird allerdings von vielen Bildungsexperten angezweifelt.
Je nach schulpolitischem Klima und Ausrichtung der Regierung sind Kopfnoten mal mehr und mal weniger beliebt. So wurden 2007 in Nordrhein-Westfalen von der schwarz-gelben Regierung Kopfnoten in gleich sechs Bereichen eingeführt: Leistungsbereitschaft, Sorgfalt, Selbständigkeit, Verantwortungsbereitschaft, Konfliktverhalten und Kooperationsfähigkeit. Ein Jahr später wurde die Anzahl auf drei reduziert. 2010 schaffte die rot-grüne Landesregierung nach Protesten von Eltern und Gewerkschaften die Kopfnoten in NRW wieder ab.
Umstritten: Noten für Arbeits- und Sozialverhalten
Schulen ohne Noten
Kritik an der Methode, Schüler mit Zensuren zu bewerten, gibt es fast so lange wie die Noten selbst. Schon im 19. Jahrhundert wurden reformpädagogische Konzepte entwickelt.
Anfang des 20. Jahrhunderts gab es die ersten Waldorf- und Montessori-Schulen. In diesen Schulformen wird in der Regel bis zur Oberstufe auf Zensuren verzichtet. Begründung: Noten erzeugten zu viel Druck und könnten den Lernstand eines Schülers nur unzureichend wiedergeben. Stattdessen schätzen die Lehrer die Leistungen der Schüler anhand von Gesprächen und schriftlichen Berichten ein.
Auch viele Grundschulen verzichten in den ersten beiden Schuljahren komplett auf Noten und lassen diese auch später in den Zeugnissen nicht alleine stehen, sondern versehen diese mit einem Begleittext. Auch in weiterführenden Schulen kommt es immer öfter vor, dass man in bestimmten Fächern wie Sport oder Kunst die Leistung nicht mit Noten, sondern mit einem Text einschätzt.
In Waldorfschulen versucht man es ohne Noten
(Erstveröffentlichung 2017. Letzte Aktualisierung 17.06.2020)
Quelle: WDR