Wie Yoga nach Deutschland kam
Planet Wissen. 09.05.2024. 02:53 Min.. UT. Verfügbar bis 19.11.2026. WDR.
Wellness
Yoga
Im Westen denken wir bei Yoga oft an eine Sportart. Eine typische Yoga-Einheit beginnt häufig mit einer kurzen einleitenden Meditation, gefolgt von Übungen, die den Körper kräftigen und dehnen. Aber traditionell ist Yoga weit mehr als eine Bewegungsform und umfasst unterschiedliche Strömungen.
Von Liz Huntly
Die Bedeutung des Worts
Das Wort "Yoga" ist abgeleitet von der Sprachwurzel "yuj", was im Altindischen in etwa "anjochen" oder "verbinden" bedeutet. Eine einfache, zeitgenössische Beschreibung ist, dass im Yoga durch bestimmte Bewegungen oder Positionen und durch achtsames Atmen die Verbindung von Körper, Geist und Seele möglich wird.
Wobei nicht alle Yogaformen auf den Körper fokussiert sind. Traditionelle Auffassungen von Yoga sehen die Verbindung, die im Yoga angestrebt wird, weitgreifender: als eine Verbindung des einzelnen Menschen mit dem Göttlichen.
Durch Askese und Meditation dem Göttlichen näher kommen: eine indische Miniatur aus dem 18. Jahrhundert
Die Wurzeln
Die Yogatradition hat ihre Wurzeln im alten Indien. Archäologische Funde aus dem Indus-Tal zeigen, dass einige Yogatechniken schon von frühen Zivilisationen praktiziert wurden. So bildet zum Beispiel ein ungefähr 8000 Jahre altes Siegel eine Figur in einer Körperhaltung ab, die heute noch als "Mulabandhasana", die Wurzelverschlusshaltung, geübt wird (die einzelnen Wortteile lassen sich übersetzen mit: "Wurzel, Basis", "Schloss" und "Haltung, Position").
Eine Variante von Mulabandhasana, auch Wurzelverschlusshaltung genannt
In den frühen hinduistischen Texten wie den Upanishaden (700-200 vor Christus) oder den Veden (die zuerst mündlich überliefert und um 500 nach Christus schriftlich fixiert wurden) wird körperbezogenes Yoga gar nicht erwähnt. Selbst frühe Texte im Hatha-Yoga – einem Yogasystem, auf dem viele der heute verbreiteten Yogaformen basieren – zählen nur eine Handvoll Positionen auf.
Von Indien in die ganze Welt
Yoga wurde von den ersten Kolonialmächten in Indien unterdrückt. Als mit den Portugiesen Missionare nach Goa kamen, um den christlichen Glauben zu verbreiten, galt Yoga als Teil des heidnischen hinduistischen Glaubenssystems und wurde verboten. Ein Yogi (also jemand, der Yoga praktiziert oder auch lehrt) konnte der Ketzerei angeklagt werden und damit auf dem Scheiterhaufen landen.
Auch während der britischen Kolonialzeit wurde Yoga als Teil der indischen Kultur angesehen, die es durch westliche Werte und Ideen zu ersetzen galt.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts kamen die ersten spirituellen Lehrer aus Indien nach Europa und Nord-Amerika. Die Lehren dieser frühen Yogis (und weiterer, die später folgten) zogen in den 1960er- und 1970er-Jahren die Aufmerksamkeit der Hippie-Bewegung auf sich. Und ausgerechnet der kleine indische Bundesstaat Goa wurde zum Hotspot für Reisende aus dem Westen auf der Suche nach einer spirituellen Erfahrung. Trotzdem blieb Yoga zunächst noch eine Randbewegung.
Während der Kolonialzeit unterdrückt, bis heute lebendig: Yoga in Indien
Im 20. Jahrhundert entstanden im Westen verschiedene Yogaschulen und es entwickelten sich verschiedene Yogaformen – geprägt durch indische Lehrer, aber auch durch Indienreisende aus der westlichen Welt, die das dort Gelernte wieder zurück in ihre Heimat brachten.
Yogaschulen, die spirituelle Aspekte mit Bewegung kombinierten, wie die Sivananda-Yogaschule, gewannen an Beliebtheit. Auch Meditationstechniken fanden ihren Weg in den Westen. Ein berühmtes Beispiel ist die "Transzendentale Meditation" von Maharishi Mahesh, zu dessen Anhängern auch die Beatles gehörten.
Anfang des 21. Jahrhunderts kam es dann zu einem regelrechten Yoga-Boom: Yoga-Studios schossen wie Pilze aus dem Boden. Auch in Fitness-Studios, in Sportvereinen, Volkshochschulen und in einigen Unternehmen werden inzwischen Yoga-Kurse angeboten.
Yoga hat sich über einen sehr langen Zeitraum entwickelt. Was wir heute unter Yoga verstehen, weicht deutlich von früheren Auffassungen ab. Selbst unter den im Westen am weitesten verbreiteten Stilen gibt es zum Teil große Unterschiede. Und doch lässt sich in den meisten Fällen ein gemeinsamer Ursprung ausmachen.
Modernes Yoga hat eine lange Tradition, mit vielen verschiedenen Entwicklungswegen
Hatha-Yoga
Die heute besonders weit verbreiteten Yogastile stammen aus dem Hatha-Yogasystem, das eine ganze Bandbreite von einfachen bis zu sehr komplexen Positionen umfasst. Hatha-Yoga soll dazu animieren, Körper und Atem genau zu beobachten. Praktizierende sollen so einen meditativen Zustand erlangen – sich also in eine Art innere Ruhe versenken.
Neben "Asana" (Körperposition) ist "Pranayama" (Atemtechnik) von großer Bedeutung. Das Wort "Hatha" ist aus zwei Sanskritworten zusammengesetzt – "Ha" (Sonne) und "Tha" (Mond). Die Verbindung im Hatha-Yoga ist damit eine Verbindung von scheinbar gegensätzlichen Qualitäten, die als untrennbare Teilaspekte eines Ganzen verstanden werden. Hier sind Parallelen zum Yin-Yang-Symbol der Traditionellen Chinesischen Medizin zu erkennen.
Das Yin-Yang-Symbol – scheinbare Gegensätze gehören zusammen
In der Praxis werden zum Beispiel dynamische Bewegungsformen genutzt, um innere Ruhe zu erfahren. Ruhe und Bewegung schließen sich somit nicht gegenseitig aus, sondern existieren nebeneinander. Auch modernes Yoga kann also mehr als ein vorübergehender Trend oder eine exotische Gymnastik sein: Es kann als eine Entdeckungsreise verstanden werden, bei der diese Qualitäten erfahren und erlebt werden.
Andere klassische Yogaformen
Hatha-Yoga ist nur eine Richtung innerhalb der vier klassischen Yogaschulen, die verschiedene Wege vorschlagen, um zu einer Verbindung mit dem Göttlichen zu gelangen. Es lässt sich dem "Raja-Yoga" (etwa "königliches Yoga") zuordnen, bei dem mit Körper und Atem gearbeitet wird. Im Raja-Yoga geht es darum, dass die Praktizierenden feine körperliche und geistige Vorgänge bemerken, um so zu einer möglichst umfassenden Wahrnehmung aller menschlichen Erfahrung zu gelangen.
Eine weitere klassische Schule ist das "Karma-Yoga" (nicht zu verwechseln mit dem philosophischen Konzept von Karma). Es bedeutet "Yoga der Tat". Praktiziert wird ein Yoga der bewussten, selbstlosen Handlungen. Anhänger dieser Bewegung leisten beispielsweise wohltätige Arbeit in Armenküchen oder im Ashram ihres Gurus – also in dem Meditationszentrum ihres spirituellen Leiters.
Daneben gibt es noch "Jñana-Yoga", das mit "Yoga des Wissens" übersetzt werden kann. Es nutzt die Denkfähigkeit, um Einsichten in die Natur der Dinge zu erhalten und um Unterscheidungen zu treffen zwischen dem, was wahr ist, und dem, was unbeständig ist und zu Illusionen führt. Schriften zu studieren ist hier ein großer Teil der Arbeit.
Auch "Bhakti-Yoga" ist eine klassische Yogaform: Es bezeichnet die Hingabe an das Göttliche und wird oft durch Singen praktiziert. Im Westen ist es bekannt geworden durch die Hare-Krishna-Bewegung, bei denen die Mitglieder oft singend und tanzend durch die Städte ziehen.
Singende und tanzende Krishna-Anhänger während einer Prozession
Der Einfluss der Lehrenden
Swami Vivekananda (1863-1902) war 1893 der erste indische Gelehrte, der im Westen öffentlich über die Spiritualität des Subkontinents sprach. Ihm folgte Paramahansa Yogananda (1893-1952), der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts regelmäßig im Westen unterrichtete. Swami Vishnudevananda (1927-1993) war der erste indische Yogalehrer, der eine systematische Yogalehrer-Ausbildung im Westen etablierte: die Sivananda Yoga Schule.
Körperlich fordernde Abläufe, die zum Beispiel die heute so weit verbreiteten Sonnengrüße beinhalten, wurden maßgeblich vom legendären Yogalehrer Tirumalai Krishnamacharya in den 1930er-Jahren entwickelt.
Eine Form des Sonnengrußes
Krishnamacharyas Lehren basieren auf dem klassischem Hatha-Yoga, sind aber auch inspiriert vom traditionellen indischen Ringen, von Freiübungen der britischen Armee und von der Gymnastik des seinerzeit sehr populären dänischen Lehrers Niels Bukh.
Krishnamacharyas erste weibliche Schülerin wurde 1938 Indra Devi, die 1948 ein Yoga-Studio in Los Angeles eröffnete und dort zahlreiche Hollywoodstars unterrichtete. Ihr Fokus lag auf Bewegungs- und Atemtechniken und damit war sie die Vorläuferin für die vielen fitnessbasierten Yogaformen weltweit.
Neben Indra Devi zählen zu Krishnamacharyas Schülern auch T.K.V. Desikachar, B.K.S. Iyengar und Pattabhi Jois, die mit ihren eigenen Stilen "Viniyoga", "Iyengar" sowie "Ashtangayoga" maßgeblich das geprägt haben, was wir heute unter Yoga verstehen.
Yogis und Yoginis
Von Liz Huntly
Männer und Frauen, die Yoga geprägt haben
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UNSERE QUELLEN
- Mircea Eliade: "Yoga. Unsterblichkeit und Freiheit". Insel-Verlag, 3. Auflage 2016.
- Paramahansa Yogananda: "Autobiography of a Yogi". Yogoda Satsanga Society of India.
- T.K.V. Desikachar: "Yoga – Tradition und Erfahrung. Die Praxis des Yoga nach dem Yoga Sutra des Patanjali". Viva Nova Verlag Petersberg, 1997.
(Erstveröffentlichung: 2021. Letzte Aktualisierung 28.09.2021)
Quelle: WDR