Kleine Geschichte der Maske
Planet Wissen. 12.02.2024. 01:37 Min.. Verfügbar bis 11.02.2025. ARD-alpha.
Brauchtum
Fasnacht im Südwesten
Die Fasnacht im Südwesten, die sogenannte "schwäbisch-alemannische Fasnet", unterscheidet sich deutlich vom rheinischen Karneval. Zur Fasnacht gehören die farbenprächtigen "Häs"-Kostüme und vor allem die Fasnachtshexen.
Von Hildegard Knoop
Fasnacht und Fastenzeit
Viele Narren im Südwesten führen den Ursprung "ihrer" Fasnet auf vorchristliche, heidnische Wurzeln zurück und erzählen, dass in und mit der Fasnet und ihrem lärmenden Treiben der Winter ausgetrieben und die baldige Ankunft des Frühlings gefeiert werde.
Doch für Volkskundler und Historiker ist die Sache klar: Die Fasnacht ist ein christliches Fest und eng verbunden mit der darauf folgenden 40-tägigen christlichen Fastenzeit als Vorbereitung auf das Osterfest. Das wird schon am Namen deutlich: Denn das Wort "Fasnacht" bezeichnet den Zeitraum vor Anbruch der Fastenzeit. Sie dauert sechs Tage, vom Donnerstag bis zum Aschermittwoch.
Narrensprung in Ulm
Das gilt genauso für den rheinischen Karneval und seine Vorläufer. Das niederdeutsche Wort "Fastelovend", das zum Beispiel die Kölner auch heute noch für ihren Karneval verwenden, bedeutet ebenfalls "der Abend vor der Fastenzeit".
Auch im Wort "Karneval", das aus dem italienischen "carnevale" abgeleitet wurde, findet sich der Hinweis auf die Fastenzeit. Denn "carnevale" ist eine Kurzform des kirchenlateinischen Begriffs "carnislevamen", was soviel bedeutet wie "Fleischwegnahme".
Der Verzicht auf Fleisch und alle anderen tierischen Produkte war ein bestimmendes Element der Fastenzeit, die in früheren Jahrhunderten viel strenger eingehalten wurde als heute.
Masken gehören für viele dazu
Fasnacht im Mittelalter
Verboten war der Genuss von Alkohol (allerdings nur Wein, nicht Bier) und das Gebot der Enthaltsamkeit bezog sich auch auf die Sexualität. Kein Wunder, dass es an den "tollen Tagen" in jeder Hinsicht hoch herging – zum wachsenden Missfallen der Kirche.
Diese sah in der Fasnacht zunehmend eine Gegenwelt zur Welt des Heils, das der Mensch nur in der konsequenten Hinwendung zu Gott erfahren könne, nicht aber in der Hingabe an weltliche Genüsse. Die Welt der Fasnacht wurde als gottlos und teuflisch angesehen, und in ihr regierte die Figur des Narren, der bereits im Psalm 53 der Bibel als derjenige charakterisiert wird, der sagt: "Es gibt keinen Gott."
Stelldichein der Fabelwesen
Auf die Verurteilungen der Kirche reagierten die Feiernden, indem sie sich erst recht als Teufel oder Narr verkleideten. Die Teufelsfigur ist eine der ältesten der Fasnacht, und der Narr wurde in den verschiedensten Ausprägungen zu der zentralen Figur der Fasnacht, die er bis heute geblieben ist.
Auch andere beliebte Figurentypen wie "wilde Männer" oder Tierfiguren – zum Beispiel der Villinger "Butzesel" – symbolisierten ursprünglich Gottesferne oder Lasterhaftigkeit. Bis ins Mittelalter zurückverfolgen lässt sich der Brauch, die Tage vor der Fastenzeit mit Schlemmen und Saufen und mit ausgelassenem Treiben in den verschiedensten Verkleidungen zu feiern.
Eine der ältesten Darstellungen fasnachtlichen Treibens zeigt den Nürnberger Metzgertanz. Seit dem 15. Jahrhundert durften die Metzger in Nürnberg zu Fasnacht einen eigenen Tanz aufführen, bei dem sie sich gegenseitig an Wurst-Ringen festhielten.
Die Metzger hatten damals allen Grund, vor der Fastenzeit noch einmal "die Sau rauszulassen", denn ihr Berufsstand war wie kaum ein anderer von der Fastenzeit betroffen. Nach Aschermittwoch bis kurz vor Ostern blieben sie so gut wie beschäftigungslos.
Aber nicht nur die Metzger mussten sich umstellen. Die Abstinenzgebote der Fastenzeit trafen die gesamte Bevölkerung empfindlich. Verboten war nicht nur Fleisch, sondern alle aus Großvieh- und Geflügelhaltung gewonnenen Nahrungsmittel: Schmalz, Fett, Milch, Butter, Käse, Eier.
Aus der Notwendigkeit, all diese Dinge möglichst vor der Fastenzeit noch aufzubrauchen, entstand unter anderem der Brauch, an Fasnacht die traditionellen schmalzgebackenen und reichlich Eier enthaltenden Fasnachtskrapfen oder Fasnachtsküchlein zu essen. Auch die im Südwesten verbreitete Bezeichnung "Schmutziger Donnerstag" ("Schmotziger Dunschtig") für den ersten der tollen Tage stammt daher, denn Schmutz bedeutet Fett.
Narren auf dem Rosenmontagsumzug
Fasnachtsverbote und Wiedergeburt
Im Zuge der Reformation wurde ab dem 16. Jahrhundert in vielen Städten das Fasnachtfeiern verboten, zum Beispiel in Nürnberg. Die katholische Kirche hatte die Fasnachtsfeiern lange toleriert – auch aus der Überlegung heraus, dass dem reuigen Sünder vergeben werde und dass man das Übel kennen müsse, um sich umso überzeugter dem Heil zuzuwenden.
Die evangelische Kirche dagegen strebte ein durch und durch gottgefälliges Leben schon auf Erden an und lehnte die Fasnacht deshalb grundsätzlich ab.
Obwohl im Laufe des 17. Jahrhunderts durch die Einflüsse des Barock einerseits und Italiens andererseits viele Figuren und Masken sehr verfeinert worden waren, erlebte die Fasnacht im 18. Jahrhundert einen Niedergang. Denn die Vertreter der Aufklärung lehnten die Umtriebe des Volkes als völlig überholtes Überbleibsel einer dunklen Vergangenheit ab und verboten die Fasnacht.
Schließlich wurden am Ende des 18. Jahrhunderts viele Fasnachtstraditionen durch Kriege und die nachfolgenden Besatzungstruppen unterbrochen.
Erst zur Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert fanden die alten Überlieferungen im Zuge einer romantischen Rückbesinnung wieder Interesse. Statt der Handwerkerschaft nahm sich nun das Bürgertum der Fasnacht an und begründete eine "romantische Karnevalsreform". Sie begann 1823 mit dem ersten Rosenmontagszug in Köln.
Mit "Prinz Karneval" und den närrischen Garden wurden neue Figuren geschaffen. Statt auf der Straße und in Schänken feierte man im geordneten Zug und auf Bällen und Prunksitzungen. Die Idee verbreitete sich rasch rheinaufwärts, und spätestens ab den 1840er-Jahren herrschte auch im Südwesten "Prinz Karneval". Die alten Fasnachtsfiguren und Bräuche waren in den Hintergrund getreten.
Mit "Prinz Karneval" wurde eine ganz neue Figur geschaffen
Doch dann entwickelten sich die südwestdeutsche Fasnet und der Karneval auseinander. Um der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert wollten die Handwerker und einfachen Leute in vielen Städten und Städtchen des Südwestens den "Honoratiorenkarneval" nicht mehr mitmachen beziehungsweise nicht länger von ihm ausgeschlossen sein.
Sie holten ihre alten Narrenkleider und Masken wieder aus den Truhen hervor, besannen sich auf alte Fest- und Umzugstraditionen und kehrten zur vorromantischen Fasnet zurück.
Diese neue alte Form fand auch beim gehobenen Bürgertum Anklang, sodass sie sich gegenüber dem Karneval durchsetzte. Bald entstanden auch dort neue Narrenzünfte, wo keine Fasnachtstradition vorhanden oder bekannt gewesen war. Man orientierte sich an Traditionsstädten wie Rottweil, Villingen oder Laufenburg und schuf sich nach deren Vorbildern eigene Figuren und eigene Traditionen.
Viele Figuren der schwäbisch-alemannischen Fasnet, die uns heute bei den Umzügen begegnen, sind also nicht einmal 100 Jahre alt, viele bedeutend jünger.
Das 21. Jahrhundert – der Südwesten im Fasnet-Fieber
Gab es 1924 im gesamten deutschen Südwesten erst 40 Narrenzünfte, so sind es heute nach Schätzungen von Experten über 1700. Mehr als 1000 wurden allein seit den 1990er-Jahren gegründet. Volkskundler wie der Freiburger Fasnachtsexperte Werner Mezger erklären diese rasante Entwicklung mit dem Bedürfnis der Menschen nach festen Bräuchen und Bezügen in einer Zeit der Globalisierung und Anonymisierung.
Die Popularität und das starke Anwachsen in den vergangenen Jahren führt Mezger auf den Einfluss des Fernsehens zurück, das mit seinen Übertragungen der Narrentreffen vielen Leuten Lust gemacht habe, selbst aktiv zu werden, sich in einer Zunft zu organisieren und eigene Fasnachtsfiguren nach bekannten Vorbildern zu entwickeln.
Und so bevölkern in der Zeit von Dreikönig bis zum Aschermittwoch immer mehr Fasnachtshexen, "Wilde Männer" und unterschiedliche Narrenfiguren die Straßen und Plätze im Südwesten. Sie rufen "Narri Narro" oder juchzen und "huhuhen" – nicht immer zur Freude der traditionellen Brauchtumskenner und -pfleger, die sich vor lauter neuen Narren gar nicht mehr auskennen. Doch wie lautet das alte Fasnet-Motto: "Jedem zur Freud und niemand zum Leid."
Im "Fasnet-Fieber"
(Erstveröffentlichung 2004. Letzte Aktualisierung 13.02.2019)
Quelle: SWR