Mann mit Frankenstein-Maske

Fabelwesen

Britischer Horror

Jack the Ripper, Frankensteins Monster und Dracula: Ist es Zufall, dass so viele Horrorwesen von den britischen Inseln stammen?

Von Stefan Morawietz

Horror in der Literatur

Der englische Schauerroman gehört zu den frühesten literarischen Gattungen, die ein breiteres Leserpublikum finden. 1764 veröffentlicht der britische Schriftsteller Horace Walpole seinen Roman "The Castle of Otranto".

Damals können lediglich Angehörige der adligen Oberschicht, der Kirche und des Bürgertums überhaupt lesen. Außerdem sind Bücher zu dieser Zeit ein Luxus.

Erst die Einführung so genannter "circulating libraries", in denen man für ein geringes Entgelt Bücher entleihen kann, ermöglicht auch Lesern aus der Unterschicht, in größerer Zahl an Lektürestoff heranzukommen.

Diese "libraries" sind aber keine Stadtbüchereien, wie wir sie heute kennen, sondern privat organisierte Sammlungen, die sich am Publikumsgeschmack ausrichten und Kaufleuten als Nebenerwerbsquelle dienen.

Porträtgemälde von Horace Walpole

Mit Horace Walpole begann das Genre des Schauerromans

Die Faszination des Bösen

Neben Liebesromanen gehören Horrorgeschichten, sogenannte "gothic novels", zu den ersten literarischen Bestsellern. Ab dem 18. Jahrhundert setzt sich Lesen als Freizeitbeschäftigung durch. Die Aufklärung erklärt Bildung zum Wert. Doch sie sorgt gleichzeitig für eine tiefe emotionale Verunsicherung vieler Menschen, weil sie Weltbilder in Frage stellt, die bis dahin als unveränderlich angenommen wurden.

Gepaart mit dem immer noch stark ausgeprägten Geisterglauben und Aberglauben weiter Teile der Unterschicht finden Horrorgeschichten ein wachsendes Publikum. Denn in diesen fiktiven Schreckenserzählungen können die Leser ihren Ängsten freien Lauf lassen und sie kanalisieren. Es ergreift einen beim Lesen ein wohliger Schauder, aber der Schrecken hat keine weiteren Konsequenzen.

Der Schauerroman

Nur die Anfänge des Schauerromans stehen in der Tradition der Aufklärung. Schon sehr bald geht es vor allem um Emotionen und das möglichst virtuose Spiel mit diesen Gefühlen – ähnlich wie in der deutschen "Sturm und Drang"-Literatur, zum Beispiel im Roman "Die Leiden des jungen Werther" von Johann Wolfgang von Goethe.

Der Schauerroman beschreibt nun nicht mehr die vernunftgesteuerte Welt der Aufklärung, sondern die des permanenten Schreckens, aus dem es für die handelnden Personen der Erzählungen am Schluss oft keine Erlösung mehr gibt. Der Horror ist nicht mehr eingebildet und erklärbar, sondern zumindest für die Romanfiguren real und greifbar.

"Frankenstein" als Höhepunkt

Als Mary Wollstonecraft-Shelley 1818 ihren ersten Roman "Frankenstein" veröffentlicht, wird er sofort eine literarische Sensation. Nicht zuletzt weil die Autorin eine Frau ist, die noch keine 19 Jahre alt ist, als sie mit dem Roman beginnt.

Frankenstein führt erstmals das Thema Wissenschaft und künstliches Leben in die Horrorliteratur ein. Der Roman ist so erfolgreich, dass er bis heute immer wieder neu aufgelegt wird.

Mit "Frankenstein" und dem zwei Jahre später veröffentlichten "Melmoth The Wanderer" von Charles Maturin endet die klassische Epoche des englischen Schauerromans. Auswirkungen dieser Vorbilder sind aber noch während des ganzen 19. Jahrhunderts spürbar – vor allem in unzähligen billigen Schundromanen, sogenannten "shilling shockers".

Zeichnung von Mary Wollstonecraft-Shelley

Mary Wollstonecraft-Shelley begann mit 19 ihren Roman "Frankenstein"

Rationaler und realer Horror

Die zweite Epoche des britischen Schauerromans ab 1850 spiegelt die Wissenschaftlichkeit des 19. Jahrhunderts wider. Autoren wie Jules Verne ("Das Schloss in den Karpaten"), Sir Arthur Conan Doyle ("Sherlock Holmes") und schließlich Bram Stoker ("Dracula") erschaffen zwar immer noch beunruhigende Horrorszenarien, aber diese Schrecken finden nun am Schluss immer eine Aufklärung oder Läuterung.

Außerdem werden im viktorianischen Zeitalter soziale Missstände oft nicht direkt angeprangert, sondern in Horrorgestalten monströs übersteigert. Die Grenze zum Kriminalroman verschwimmt.

Sir Arthur Conan Doyle am Schreibtisch im Garten

Sir Arthur Conan Doyle verwischte die Grenzen zwischen Horror und Krimi

Da wundert es nicht, dass eine echte Mordserie, wie die von Jack the Ripper 1888, ebenfalls auf sehr großes öffentliches Interesse stößt – übrigens nicht nur in England. Gerade dass der Täter nie gefasst wird und damit Spekulationen Tür und Tor geöffnet sind, erhöht den wohligen Schauder beim unbeteiligten Publikum.

Das Monster als Forschungsobjekt

Nessie, das angebliche Monster von Loch Ness, ist kein literarisches Produkt. Nach Ansicht derer, die an seine Existenz glauben, ist es ein urzeitlicher Saurier, der auf bislang unbekannte Weise in den trüben Gewässern des schottischen Sees überlebt hat. Verglichen mit dem angeblichen Alter des Ungeheuers verwundert es allerdings, dass diese Legende erst in den 1930er-Jahren öffentliches Interesse erregt.

Bei Nessie geht es aber von Anfang an nie um irgendwelche Untaten des Ungeheuers, sondern um seine Existenz an sich. Befürworter wie Gegner versuchen unter Einsatz modernster Mittel ihre Positionen zu beweisen. Das reicht von Dutzenden angeblicher Fotobeweise bis hin zu U-Boot-Untersuchungen des Seegrunds.

Bis heute hat keine Seite den Streit für sich entscheiden können. Und genau darin scheint die Faszination Nessies zu bestehen: Die bloße Möglichkeit seiner Existenz scheint die eine Hälfte der Monsterjäger ebenso anzustacheln, wie die andere Hälfte daran arbeitet, die ganze Geschichte als Hirngespinst zu entlarven.

Blick von einer Wiese auf einen See. Am Ufer stehen vereinzelt Bäume, der See ist rachts und links von grünen Hügeln eingerahmt.

Hier soll Nessie sein Zuhause haben

(Erstveröffentlichung: 2003. Letzte Aktualisierung: 13.07.2019)

Quelle: WDR

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