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Schweiz

Geschichte der Schweiz

Die Schweiz liegt strategisch günstig mitten in Europa und so war die Region schon im frühen Mittelalter bei den Großmächten begehrt. 1291 schließlich wurde die Schweizer Eidgenossenschaft gegründet – das Land gilt als "älteste Demokratie der Welt".

Von Kerstin Hilt

Die Schweiz entsteht: der Bundesbrief von 1291

Glaubt man dem Comic "Asterix bei den Schweizern", dann sah es zwischen Genf, Bern und Zürich bereits unter den Römern so aus, wie es das Klischee von heute will: Alles blitzt vor Sauberkeit, das Bankgeheimnis gilt als höchstes Gut und die Uhren gehen nie nach.

Was der Asterix-Comic dabei verschweigt: Bis weit ins Mittelalter hinein gab es das Gebilde "Schweiz" überhaupt nicht. Denn die "älteste Demokratie der Welt" wurde nie von einer gemeinsamen Sprache, Tradition oder Kultur zusammengehalten.

Die geografische Region der späteren Schweiz allerdings weckt bei den mitteleuropäischen Großmächten früh Begehrlichkeiten: ein Stück Land im Herzen Europas, fruchtbar und von Gebirgen geschützt – und gleichzeitig das Bindeglied zwischen Nordeuropa und Italien.

Genau deshalb, wegen der Alpenpässe, gemeinden die Ottonen im 11. Jahrhundert die Schweizer Landstriche ins Heilige Römische Reich ein, denn die Romzüge anlässlich der deutschen Kaiserkrönungen führen stets über Schweizer Gebiet.

Doch im 13. Jahrhundert gerät die Macht des Kaisers ins Wanken; gleichzeitig stirbt das im Alpenraum wichtige Adelsgeschlecht der Zähringer aus. In der heutigen Schweiz entstehen daraufhin viele politisch selbstständige Kleingebilde: Uri und Schwyz beispielsweise oder die Reichsstädte Zürich und Bern, die nicht mehr einer Regionalmacht, sondern direkt dem Reich unterstehen.

Ewiges Bündnis in der Schweiz (am 01.08.1291)

WDR ZeitZeichen 01.08.2021 14:59 Min. Verfügbar bis 02.08.2099 WDR 5


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1291 schließen Uri, Schwyz und Unterwalden einen Bund und geloben sich im Bundesbrief Zusammenhalt im Inneren und gegenseitige Hilfe im Kampf gegen Feinde von außen. Dieser Bundesbrief – in Wirklichkeit nur einer von mehreren ganz ähnlichen Abkommen – gilt heute als Gründungsdokument der Schweizer Eidgenossenschaft. Ihm zu Ehren wird jedes Jahr am 1. August der Schweizer Nationalfeiertag begangen.

Riesige Schweizer Fahne an einem Berghang

Am Nationalfeiertag werden sogar die Berge geschmückt

Der Mythos Rütlischwur

Doch was ist mit dem anderen berühmten Gründungsmythos der Schweiz, dem Rütlischwur? Auch in dieser Entstehungsgeschichte schließen die drei Urkantone einen Bund – nur wird dieses Ereignis wesentlich farbiger ausgemalt sowie weltanschaulich aufgeladen.

Drei Abgesandte versammeln sich auf der abgelegenen Rütli-Wiese am Vierwaldstädtersee und tun sich dort jenseits aller sprachlichen, konfessionellen oder ständischen Schranken zu einer selbstbestimmten Schutzgemeinschaft zusammen.

Die Arbeiterbewegung wird den Schwur später als Symbol für eine klassenlose Gesellschaft interpretieren. Eine Mehrheit der Schweizer hält den Rütlischwur denn auch für eine historische Tatsache; doch in Wirklichkeit ist er nicht mehr als eine nützliche Legende – nützlich deshalb, weil die Interpretation der Schweiz als rein selbstbestimmte Willensnation für einen Staat ohne einheitliche Nationalsprache bis heute einen wichtigen sozialen Kitt darstellt.

Drei Männer recken ihre schwörende rechte Hand gen Himmel

Der Rütli-Schwur

Tatsächlich, so zeigt es der Bundesbrief, haben die Vertreter der drei Urkantone bei ihrem Zusammenschluss nicht gerade hehre demokratische Ziele im Sinn: Vielmehr handelt es sich bei ihnen um die Spitzen alteingesessener Geschlechter, die vor allem ihre Macht gegenüber den zunehmend starken Habsburgern sichern wollen. Keinesfalls sollen alle Schweizer an dieser Macht teilhaben.

Dennoch ist die Schweiz eine der ältesten Demokratien der Welt: Anders als in England, Frankreich oder Deutschland hat dort nie ein nationaler Monarch geherrscht, gegen den sich eine demokratische Bewegung hätte durchsetzen müssen. Bis heute misstraut man in der Schweiz jeder allzu starken Zentralgewalt – und lässt stattdessen den einzelnen Kantonen viel Raum zur Selbstbestimmung.

Reformation und Glaubenskrise

Augenfällig wird das erstmals in der Zeit der Reformation, der größten Zerreißprobe für die junge Gemeinschaft. Mit insgesamt 13 dem Bund beigetretenen Kantonen und mehreren verbündeten "Zugewandten Orten" hat die Schweiz im 16. Jahrhundert in etwa ihre heutige geografische Ausdehnung erreicht.

Ab 1519 versucht der Reformator Zwingli von Zürich aus, seinen protestantisch-reformierten Glauben für die ganze Schweiz verbindlich zu machen. Doch die mit dem Papst verbündeten Kantone im Inneren des Landes protestieren.

Zeitgenössischer Stich von Ulrich Zwingli

Der Reformator Ulrich Zwingli

In der Folge kommt es zu den ersten Religionskriegen in Europa: den "Kappelerkriegen", benannt nach der Ortschaft Kappel am Albis, wo man sich schließlich über der berühmt gewordenen "Kappeler Milchsuppe" bei einem Versöhnungsessen einigt. Die Religionshoheit soll fortan bei den Kantonen liegen: Sie haben zu entscheiden, welcher Glaube in ihrem Herrschaftsgebiet gelten soll – eine typisch Schweizer Lösung.

Trotzdem: Der Glaubensgegensatz zwischen Katholiken und Protestanten schwächt die Schweiz über Jahrhunderte. Auf bundesstaatlicher Ebene können sich die Kantone so gut wie nie auf ein gemeinsames Vorgehen einigen.

Dass sich die Schweiz im 17. Jahrhundert aus dem Dreißigjährigen Krieg heraushält – ein frühes Beispiel der berühmten Schweizer Neutralität – liegt wohl vor allem an dieser innenpolitischen Schwäche. Für ihr Stillhalten wird die Schweiz belohnt: Im Westfälischen Frieden von 1648 erreicht sie die endgültige Unabhängigkeit vom Heiligen Römischen Reich deutscher Nation.

Geschwächt durch Napoleon, gestärkt durch Neutralität

1798 besetzt Napoleon Bonaparte die Schweiz und formt sie zu einem zentralstaatlich organisierten Vasallenstaat Frankreichs. Erst 1815, nach Napoleons Niederlage in den Befreiungskriegen, kann sich die Schweiz neu formieren – doch diesmal nur als loser Staatenbund.

Innenpolitische Spannungen zwischen Föderalisten und Unitariern sind die Folge: ein Konflikt, der sich ebenso wie der Gegensatz zwischen liberal-städtischen und konservativ-ländlichen Kantonen in den kommenden Jahrzehnten ständig verschärft.

Napoleon Bonaparte.

Napoleon raubte der Schweiz ihre Unabhängigkeit

Als sich schließlich einige konservativ-katholische Kantone als Sonderbund von der Schweiz abspalten, kommt es zur bis heute letzten bewaffneten Auseinandersetzung auf Schweizer Boden: dem Sonderbundskrieg von 1847, einem Bürgerkrieg, aus dem die Schweiz schließlich mit der Bundesverfassung von 1848 als parlamentarischer Bundesstaat hervorgeht. Die liberal-unitarischen Kräfte haben sich durchgesetzt.

Im 20. Jahrhundert verhält sich die Schweiz im Ersten Weltkrieg und auch im Zweiten Weltkrieg neutral – trotz allgemeiner Mobilmachung 1939. Obwohl besonders in der deutschsprachigen Schweiz einige Politiker mit dem Faschismus sympathisieren, bleibt die Schweiz demokratisch.

Zahlreiche Flüchtlinge aus Nazi-Deutschland, darunter mehr als 20.000 jüdische Verfolgte, finden im Land Unterschlupf – fast ebenso viele Juden werden allerdings abgewiesen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg werden gegen die Schweizer Banken schwere Vorwürfe laut: So hat die Deutsche Reichsbank Raubgold und Gold von Holocaust-Opfern über das Schweizer Bankensystem ins Ausland schaffen können; zudem wurde jüdisches Vermögen stillschweigend einbehalten. Erst seit 1999 werden dafür Entschädigungen gezahlt – ein hässlicher Fleck auf der vermeintlich weißen Weste der Schweizer Neutralität.

Sprachenvielfalt und "Zauberformel"

Dennoch ist die über 700-jährige Geschichte der Schweiz die Geschichte einer beispiellos erfolgreichen Demokratie – zumal es angesichts der Schweizer Mehrsprachigkeit nicht selbstverständlich ist, dass man sich immer wieder zusammenrauft.

Neben dem berüchtigten "Röstigraben" zwischen französisch- und deutschsprachigen Landesteilen ist die Schweiz noch von zwei weiteren Sprachgrenzen geprägt: Im Kanton Tessin und in einigen Graubündener Tälern wird italienisch gesprochen, in Graubünden wiederum vielerorts noch das Rätoromanische – zumindest als Zweitsprache.

Die politische Antwort auf diese und andere Konfliktlinien ist die Schweizer Konkordanzdemokratie: Der politische Prozess ist stark am Konsens und wenig am offenen Konflikt interessiert. So ist die siebenköpfige Schweizer Regierung, der "Bundesrat", nach der sogenannten "Zauberformel" zusammengesetzt: Die Schweizerische Volkspartei (SVP), die Sozialdemokratische Partei (SP) sowie die liberale Freisinnig-Demokratische Partei (FDP) stellen jeweils zwei Regierungsmitglieder, die Christlichdemokratische Volkspartei (CVP) eines – unabhängig vom Wahlergebnis. Einer der sieben Minister bekleidet zusätzlich für jeweils ein Jahr das Amt des Schweizer Staatspräsidenten.

Ein burgenhaftes Gebäude mit Zinn-Dach

Das Bundeshaus in Bern, Sitz des Bundesrats

Außerdem haben die Schweizer Kantone erheblichen Einfluss auf die Schweizer Politik – sogar deutlich mehr als hierzulande die deutschen Bundesländer. Und dank der ausgiebig praktizierten direkten Demokratie genießen die Schweizer Bürger so ausgeprägte demokratische Freiheiten wie kaum ein anderes Staatsvolk der Welt.

(Erstveröffentlichung 2008. Letzte Aktualisierung 06.01.2020)

Quelle: WDR

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