Päpste
Papst Benedikt XVI.
"Wir sind Papst!" titelt die Bild-Zeitung im April 2005, als der katholische Kardinal Joseph Ratzinger aus Bayern zum Papst gewählt worden war. Als Benedikt XVI. wurde er der erste Deutsche der Neuzeit in diesem Amt.
Von Gregor Delvaux de Fenffe, Matthias Bude
Der Papst ist deutsch!
Es ist der 19. April 2005, fast 19 Uhr, langsam beginnt es zu dämmern. Plötzlich aufgeregte Stimmen auf dem Platz vor dem Petersdom: "Der Rauch ist weiß!" Die Sensation ist perfekt: In einem der kürzesten Konklave aller Zeiten, nach nur 26 Stunden, haben die versammelten 115 Kardinäle im vierten Wahlgang einen der ihren zum neuen Papst gewählt.
In Scharen laufen die Römer zum Vatikan. Millionen Fernsehzuschauer verfolgen gebannt auf den Bildschirmen der Welt, wie sich plötzlich der Vorhang der Benediktions-Loggia teilt. Heraus tritt der Kardinalprotodiakon Jorge Arturo Medina Estévez.
Er verkündet der wartenden Welt den neuen Papst: "Habemus Papam! Ich verkünde euch eine große Freude: Wir haben einen Papst! Und zwar Seine Eminenz den hochwürdigsten Herrn, Herrn Joseph, der Heiligen Römischen Kirche Kardinal Ratzinger, welcher sich den Namen Benedikt XVI. gegeben hat."
Auf dem Balkon erscheint ein sichtlich gelöster, von der Anstrengung der vergangenen Tage gezeichneter Joseph Ratzinger.
Jubelchöre und großer Applaus. Benedikt XVI. ist gerührt, er strahlt: "Die Herren Kardinäle haben mich gewählt, einen einfachen und demütigen Arbeiter im Weinberg des Herrn."
Es sind seine ersten Worte – sie sind die Untertreibung des Jahres. Nur langsam lösen sich die deutschen Kommentatoren aus ihrer Fassungslosigkeit, ringen nach Worten. Auf zahlreichen Fernsehkanälen dasselbe Bild: Ratzinger auf dem Balkon.
Ratzinger! Ausgerechnet! Wurde der nicht in den vergangenen Wochen landauf landab als "grande elletore", als einflussreicher Papstmacher gehandelt? Und jetzt ist er das neue Oberhaupt, Ratzinger ist Papst – Benedikt XVI., ein Papst aus Deutschland.
Bad in der Menge nach der Amtseinführung
"Tu mir dies nicht an!"
Der Jubel in Deutschland ist bei vielen verhalten. Ein deutscher Papst – schön und gut, aber musste es ausgerechnet Ratzinger sein? Dieses konservative Urgestein, der katholischste aller Kleriker? "Rottweiler Gottes" nennen sie ihn in Rom. "Panzerkardinal" tauften ihn die italienischen Zeitungen in einmütiger Regelmäßigkeit.
Ratzinger – der Garant für den Muff unter den priesterlichen Talaren, ein sittenstrenger Glaubenshüter, der keine Abweichler duldet. Ratzinger, der doch schon zu Lebzeiten Wojtylas päpstlicher war als der Papst.
Doch die Menschen in Rom sehen die Papstwahl sehr viel entspannter. Il Papa fa parte della famiglia – schließlich gehört der Papst zur Familie! Liebevoll feiern sie ihren "Be-ne-detto" und "Papa Ratzi" – der nach 24 Jahren an der Kurie längst als Römer adoptiert ist, längst einer der ihren. Und Benedikt dankt es ihnen. Der neue Papst erntet Sympathien und er wirkt sympathisch.
Wenige Tage nach seiner Wahl empfängt der frisch gekürte Papst auch seine bayerischen Landsleute zur Generalaudienz. Ratzinger besitzt nicht die Jovialität seines Vorgängers Johannes Paul II., nicht dessen Charisma, nicht den gewinnenden Charme im direkten Umgang mit dem Kirchenvolk.
Der schüchterne Benedikt sucht auch nicht das Bad in der Menge. Er wirkt zerbrechlich und zurückhaltend. Aber seine feine Gelassenheit, eine heitere und gelöste Stimmung, die ihn zunehmend auszeichnet – das kommt gut an.
Und der Bayer auf dem Papstthron plaudert aus dem Nähkästchen, gespannt und amüsiert lauschen seine Besucher: "Als langsam der Gang zur Abstimmung erkennen ließ, dass sozusagen das Fallbeil auf mich herabfallen würde, war mir ganz schwindelig zumute. Ich hatte geglaubt, mein Lebenswerk getan zu haben. Ich habe mit tiefer Überzeugung zum Herren gesagt: Tu mir dies nicht an!"
Der Mann, der da so gelassen über seine unverhoffte Bürde spricht, hatte sich tatsächlich bereits seinen – wenn auch umstrittenen – Platz in der Kirchengeschichte erarbeitet. Dass er seine lange kuriale Laufbahn nun mit dem höchsten Amt der katholischen Kirche krönt, verstehen seine Befürworter buchstäblich als Wink des Himmels.
Seine Kritiker erkennen darin den gewichtigsten, aber logischen Schritt einer lebenslangen, von Ehrgeiz und Erfolg bestimmten Karriere. Schon als Kind, so heißt es, träumte Ratzinger von einer Karriere in der Kirche, wollte er Kardinal werden.
Die Nummer Zwei im Vatikan
Joseph Alois Ratzinger kam am 17. April 1927 – dem Karsamstag – im bayerischen Marktl am Inn zur Welt. Sein Vater war Gendarmeriemeister, beide Eltern waren überzeugte und tiefreligiöse Katholiken, die ihre drei Kinder mit ihren Wertvorstellungen nachhaltig prägten.
Joseph als Schuljunge 1932
Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm der hochbegabte Joseph ein Theologie- und Philosophiestudium auf. Im Jahr 1951 wurde er gemeinsam mit seinem Bruder Georg zum Priester geweiht. Ratzinger promovierte, und mit nur 30 Jahren habilitierte er sich und wurde Professor für Dogmatik an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Freising. Ratzinger lehrte an den Universitäten Bonn, Münster, Tübingen und Regensburg.
Mit 50 Jahren wurde er zum Erzbischof von München-Freising berufen. Es dauerte nicht lange, bis der in Rom bekannte Ratzinger von Papst Paul VI. in den Kardinalsstand erhoben wurde. Fünf lebende Sprachen spricht Ratzinger, ist in Latein, Griechisch und Hebräisch zuhause. Sieben Ehrendoktorwürden wurden dem international hoch geachteten Theologen zuteil.
Einen so versierten Mann konnte das Zentrum der katholischen Kirche nicht entbehren. 1981 berief Papst Johannes Paul II. Joseph Ratzinger nach Rom.
Ratzinger wurde Präfekt der Glaubenskongregation – er avancierte zum Chefdenker im Vatikan. Kein Deutscher seit Martin Luther habe die Kirche so nachhaltig geprägt wie der Bayer Joseph Ratzinger, heißt es in der Kurie.
Ratzinger wurde zum Alter Ego des Papstes, er teilte die Grundüberzeugungen Johannes Paul II.. Was der Papst verkündete, untermauerte Ratzinger theologisch. 1998 bis 2002 war Ratzinger Subdekan des Kardinalskollegiums, 2002 wurde er zum Kardinalsdekan berufen – jetzt war er die Nummer Zwei des Vatikans.
Berufung und Beruf
Als die Welt in Rom Abschied nahm von Papst Johannes Paul II., war es Ratzinger, der die Begräbnisfeierlichkeiten leitete. Er hielt eine hochbeachtete, scharfe Grundsatzpredigt gegen den Relativismus und Modernismus der Gegenwart und berief die Kardinäle zum Konklave ein. Wollte man politische Maßstäbe an die Papstwahl legen, man müsste Ratzinger einen hervorragen Wahlkampf bescheinigen.
Ein weiterer Vorteil des Präfekten: Er kannte jeden Kardinal, jeden Bischof und jeder kannte ihn, wie auch Kardinal Walter Kasper bestätigte: "Er war über 20 Jahre Präfekt der Glaubenskongregation; das heißt, dass er praktisch alle Bischöfe der Weltkirche kannte. Beim ad Limina-Besuch kamen sie alle zu ihm, so dass er bestens vertraut ist mit den Problemen der Weltkirche und auch der Kurie. Das hat sicher alles mitgespielt."
Über Jahre war Ratzinger bereits der bedeutendste Entscheidungsträger im Vatikan gewesen, der seinem kranken Chef Johannes Paul II. unermüdlich zur Seite gestanden hatte. Sah er im April 2005 die Zeit gekommen, endlich selbst den Papstthron zu besteigen, die Nummer Eins der katholischen Kirche zu werden?
Hier scheiden sich die Geister. Fest steht: Die katholische Kirche machte 2005 einen sensiblen, feingliedrigen und menschenscheuen Großintellektuellen zum 265. Papst. War Johannes Paul II. ein Mann der Bilder gewesen, so war Benedikt XVI. ein Mann der Worte.
Benedikt galt schon damals vielen als einer der bedeutendsten Theologen unserer Zeit. Den Vatikan kannte er wie seine Westentasche. Abläufe, Institutionen, Menschen und Machenschaften der Kurie – für Benedikt XVI. waren sie seit Jahrzehnten das täglich Brot gewesen. Keine schlechten Voraussetzungen für ein Pontifikat.
Auf dem Weltjugendtag 2005 in Köln
Schwierige Amtszeit
Doch Papst Benedikts Amtszeit bleibt in manchen Bereichen wenig glücklich in Erinnerung. Auf die Euphorie der deutschen Katholiken folgte schnell Ernüchterung: Alle, die gehofft hatten, Papst Benedikt würde die brennenden Fragen der Kirche ansprechen – wie zum Beispiel Frauenordinationen oder die Sexualmoral –, wurden enttäuscht.
Kritiker sagen, es habe unter Benedikt XVI. sogar einen Rückschritt hinter das Zweite Vatikanische Konzil gegeben, in dem die katholische Kirche modernisiert worden war. Der neue Papst ließ zum Beispiel die tridentinische Messe im außerordentlichen Ritus wieder zu. Bei dieser Messform betet der Priester von der Gemeinde abgewandt und in Latein.
Wichtig war Papst Benedikt XVI. der Dialog mit anderen Glaubensrichtungen. Allerdings lief dieser nicht immer reibungsfrei ab: Für Verärgerung bei den Juden sorgte Benedikt unter anderem, weil er die Exkommunikation von vier Bischöfen der Pius-Bruderschaft aufgehoben hatte. Unter ihnen war der Holocaust-Leugner Richard Williamson. Benedikt musste später zugeben, dass er und seine Berater zum Zeitpunkt der Entscheidung nichts von den Äußerungen Williamsons gewusst hatten.
Auf islamischer Seite sorgte die Regensburger Rede im Jahr 2006 für Konflikte. Bei dieser hatte der Papst einen byzantinischen Kaiser mit der Einschätzung zitiert, der Islam habe nur Schlechtes gebracht und sei mit dem Schwert verbreitet worden. In einer Erklärung aus dem Vatikan dazu hieß es später, dem Papst sei es um eine entschiedene Zurückweisung von religiösen Motivationen von Gewalt gegangen, woher auch immer sie kämen.
Was aber Papst Benedikts Amtszeit am meisten erschütterte, waren die Missbrauchsskandale in mehreren Ländern, vor allem in seinem Heimatland Deutschland. Tausende von Katholiken traten daraufhin aus der katholischen Kirche aus.
Zwar verschärfte Papst Benedikt weltweit und in der Kurie die Regeln für den Umgang mit Fällen sexueller Gewalt. Auch traf er sich auf fast allen seinen Reisen mit Opfern. Doch Betroffenenverbände warfen ihm vor, bei aller echten Reue die Frage nach den tieferen Ursachen der Gewalt zu scheuen, die in den Strukturen der Kirche zu suchen seien.
Ob die Häufung dieser Skandale – zuletzt die Vatileaks-Affäre, bei der private Dokumente aus den Privatgemächern des Papstes entwendet wurden – Papst Benedikt zum Rücktritt am 28. Februar 2013 motivierten, bleibt ungewiss.
Offiziell gab er gesundheitliche Gründe an. Der damals 85-Jährige sagte, er sei "zur Gewissheit gelangt, dass meine Kräfte infolge des vorgerückten Alters nicht mehr geeignet sind, um in angemessener Weise den Petrusdienst auszuüben". Damit war Benedikt XVI. der erste Papst seit mehr als 700 Jahren, der zurücktritt.
Sein Nachfolger Papst Franziskus trat am 13. März 2013 sein Amt an.
Nach acht Jahren Amtszeit trat Benedikt XVI. 2013 zurück
Quelle: SWR/WDR | Stand: 30.03.2020, 10:40 Uhr