Aber bitte mit Meerblick
Bis zum 18. Jahrhundert waren Cannes, Nizza und Menton kleine Städtchen mit engen, dunklen Gassen. Ein Überbleibsel der antiken Besiedlung, oben auf dem Hügel in sicherer Distanz zur Küste der Côte d'Azur.
Das änderte sich mit dem aufkommenden Tourismus. Er begann im 18. Jahrhundert, als die ersten asthma- und tuberkulosekranken Engländer im milden Klima der "blauen Küste" kurten. Der Bürgermeister des Städtchens Hyères erkannte früh das Geschäft mit dem Tourismus und förderte den Bau palastähnlicher Hotels, Sanatorien, Musikpavillons und Casinos.
Was er nicht ahnte, war die Begeisterung der Gäste für den Meerblick. Den hatte das landeinwärts gelegene Hyères nicht. Mit einer Uferbebauung direkt am Mittelmeer konnten allerdings bald die Städte Nizza und Cannes trumpfen.
Ferienparadies trotz Banditen und Cholera
Als der britische Lordkanzler Lord Brougham 1834 erstmals an die Côte d'Azur kam, hatte er noch viele Unannehmlichkeiten in Kauf zu nehmen. Die Straßen waren schlecht und gefährlich. In den Wäldern des Esterel-Massivs lauerten die gefürchteten Esterel-Banditen.
Von der Cholera geplagt, landete er in dem damals kleinen Fischerdorf Cannes. Dort blieb er, bis er wieder gesund war. Trotz aller Widrigkeiten gefiel ihm die Gegend und er verzichtete auf die geplante Weiterreise nach Italien.
Das Klima und die als exotisch empfundenen Sitten zogen auch seine Landsleute an. Daher ließ 1849 ein englischer Pfarrer in Nizza eine Uferpromenade für die überwinternden Briten anlegen, bis heute als "Promenade Anglais" (Englische Promenade) bekannt. Bezahlt wurde der Bau mit der Kirchenkollekte. Zum Tourismusboom kam es aber erst, als ab 1850 die Eisenbahnstrecke ausgebaut wurde.
Englische Promenade und Spielcasino in Nizza um 1895
Unsere Küste soll schöner werden
In das neu entdeckte Paradies brachte man ab 1800 mit, was gefiel. Die Engländer ihre Leidenschaft für schöne Gärten, die französische Kaiserin Joséphine Bonaparte den ersten Eukalyptusbaum, Kaiser Napoléon III. Kakteen, die er von seinem Mexikofeldzug mitgebracht hatte und französische Kolonialherren Palmen aus Nordafrika. Wegen der vielen Palmen in Hyères nennt sich die Stadt heute Hyères-les-Palmiers.
Geschützt durch die Felsen des Esterel-Massivs liegt Madelieu, berühmt als Mimosenstadt. Weltenbummler aus Australien sollen die leuchtend gelben Blütenbäume eingeführt haben.
Während die ersten Touristen hauptsächlich den milden Winter über dort blieben, reisten allmählich auch Sommergäste an. Sandstrände wurden aufgeschüttet, überall Promenaden angelegt und immer mehr Hotelpaläste gebaut.
1887 erschien das Buch "Côte d'Azur". Autor war der französische Dichter Stephen Liégeard, Sohn eines Weinbauern aus dem Département Côte d'Or im Burgund. Er versprach traumhafte Landschaften, exzellente Speisen und lockere Sitten. Das zog vor allem die europäische Aristokratie an.
Ansichtskarte von Cannes um 1900
Filmfestspiele gegen die Touristenflaute
Der Tourismus war saisonabhängig. Im Winter kamen die Gäste, die der heimischen Kälte entfliehen wollten, im Sommer die Sonnenanbeter und im Herbst standen die Hotelbetten leer. Nur die Spieler und Lebenskünstler blieben. Die aber hoben nicht gerade den angestrebten guten Ruf der Stadt.
Das wollte der Stadtrat von Cannes ändern. Er beschloss ein jährliches Filmfestival zu veranstalten, um das kulturelle Niveau der Stadt zu heben und gleichzeitig außerhalb der Saison die leerstehenden Hotelbetten zu füllen.
Das erste Filmfestival war für September 1939 geplant, musste aber wegen des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs abgesagt werden. 1946 klappte es, doch die Teilnehmerzahl war noch gering. Nur wenige Schritte vom exklusiven Carlton-Hotel entfernt hatte man extra einen "Palais du Festival" gebaut.
1951 war es so weit: ein Filmfestival, das Cannes weltweit bekannt machte. Aus der verschlafenen Stadt wurde schlagartig ein lauter, turbulenter Rummelplatz. Wichtige Medienmessen fanden nun auch in der Nebensaison statt und in der übrigen Zeit mieteten arabische Ölscheichs samt Gefolge gleich eine ganze Reihe von Suiten.
Brigitte Bardot um 1960 in Saint-Tropez
Zurück zur Beschaulichkeit von einst
Ende der 1980er-Jahre kriselte das Geschäft mit den Fremden. Billige Pauschalreisen in die Karibik boten Konkurrenz, neue Anreize mussten her. Zurück zum unbeschwerten Leben war die Devise: keine steifen Grandhotels, weniger Nepp, mehr Sportangebote und die Wiederentdeckung mediterraner Kleinode, die vom Massentourismus verschont geblieben waren.
Zum Beispiel die kleine Insel Porquerolles, in die sich der Autor Georges Simenon, Erfinder des "Kommissar Maigret", während einer Reise 1926 verliebte. Er beschloss, dort seinen Lebensabend zu verbringen. Noch heute erlebt man dort unberührte Natur, denn 1963 erklärte man das ganze Gebiet um Port Cros zum Nationalpark.
Natur pur heißt es auch im Westen der "Ile du Levant". Dort wurde 1931 der erste FKK-Club der Côte d'Azur eröffnet. Wer das Hüllenlose liebt, fährt auch jetzt noch dorthin.
Die Stadt auf dem Hügel, Hyères-les-Palmiers, blieb vom großen Trubel verschont, weil ihr der begehrte Meeresblick fehlt. Heute wird sie darum beneidet. Ihre verwinkelten Gassen und Paläste aus der Belle Epoque blieben alle erhalten. Nicht selten dienten sie als Kulisse großer Filmklassiker. François Truffaut drehte dort Anfang der 1980er-Jahre seinen letzten Film "Auf Liebe und Tod".
Beschauliche Ruhe auch an der Spitze des Cap Brégançon, mit dem Hinweis "Propriété privée" (Privatbesitz). Die französischen Präsidenten De Gaulle, Pompidou, Giscard d´Estaing und Mitterand kamen hierher zur Sommerfrische. Das Schloss auf einer Felseninsel ist bis heute den französischen Staatsoberhäuptern als offizieller Feriensitz vorbehalten.
Villa Ephrussi de Rothschild am Cap Ferrat
(Erstveröffentlichung 2009. Letzte Aktualisierung 27.04.2020)
Quelle: WDR