Erster Weltkrieg
Wer war schuld am Ersten Weltkrieg?
1918 ging der Erste Weltkrieg zu Ende. Deutschland und sein Bündnispartner Österreich-Ungarn hatten verloren, die Sieger waren Frankreich, England, Italien und die USA. Doch wer war verantwortlich dafür, dass der Krieg überhaupt begonnen wurde?
Von Knut Weinrich
Wer trägt die Schuld?
1914 begann der Erste Weltkrieg, und seither wird auch über die Frage der Kriegsschuld diskutiert. Waren allein das Deutsche Reich und die österreichisch-ungarische Doppelmonarchie schuld, wie es nach dem Krieg im Friedensvertrag von Versailles von 1919 festgeschrieben wurde?
Oder traf auch andere Länder eine Mitschuld? Waren die europäischen Mächte allesamt in den Krieg "geschlittert", geleitet von Machtstreben und Konkurrenz, gefangen in Bündnissen, die sie in den Krieg zogen? Waren also alle an der Schuld beteiligt oder eben doch nur das Deutsche Reich und Österreich-Ungarn?
Beide Thesen lassen sich vertreten. Mittlerweile lautet aber die vorherrschende Meinung unter internationalen Historikern: Alle Kriegsparteien, die von Anfang an dabei waren, tragen eine Teilschuld. Alle hätten sich dem Kriegsausbruch entgegenstellen können, ja ihn sogar verhindern können. Dass sie es nicht taten und damit einen Krieg in Kauf nahmen, machte folglich alle mitschuldig.
Die Kriegsparteien von 1914
Auch die Machtverhältnisse zwischen den großen europäischen Staaten vor dem Krieg spricht für die These einer geteilten Schuld.
Das Deutsche Reich hatte in den Jahren vor dem Krieg stark aufgerüstet. Die Armee zählte 800.000 Mann. Es war eine Zeit der großen Begeisterung für alles Militärische, gerade auch für die neue Kriegsflotte. Diese war der ganze Stolz des deutschen Kaisers Wilhelm II., und sie sollte größere Geltung in der Welt bringen und mehr Kolonien.
Großbritannien sah sich durch die deutsche Flotte allerdings in seiner Herrschaft über die Weltmeere bedroht. Großbritannien war die Supermacht dieser Zeit, mit Kolonien rund um den Globus.
Das Vereinigte Königreich
01:59 Min.. UT. Verfügbar bis 14.03.2029.
Auch Frankreich hatte ein Kolonialreich. Mit Großbritannien hatte es sich nach langen Konflikten verbündet, aber nicht mit Deutschland, dem "Erzfeind". Den letzten Krieg 1870/71 gegen Deutschland hatten die Franzosen verloren, was das Land noch nicht verwunden hatte. Auch Frankreich rüstete sich und verfolgte den Aufstieg Deutschlands zur stärksten Macht auf dem Kontinent mit großer Beunruhigung.
Russland wiederum war mit Frankreich und Großbritannien verbündet, nach langen Kriegen und Konflikten. Auch der russische Zar Nikolaus II. war beunruhigt über den Machtzuwachs des Deutschen Reiches und dessen Ambitionen.
Die Herrschaft des Zaren war durch innere Unruhen in seinem Reich geschwächt. Aber er hatte 173 Millionen Untertanen und konnte riesige Heere aufstellen. Auch die Mobilmachung seiner Armee Ende Juli 1914 war ein Schritt in Richtung Krieg.
Zar Nikolaus II. hielt seine Armee bereit
Diese Konstellation von Konkurrenz, Misstrauen, Bedrohung, Kriegsrüstung und Bündnissen war zweifellos sehr bedrohlich für den Frieden. Sicher ist, dass sich im Krieg alle beteiligten Staaten als Verteidiger gegen einen Angreifer betrachteten.
Sicher ist auch, dass im Laufe des Krieges den Verantwortlichen auf beiden Seiten jahrelang der Wille fehlte, den Krieg zu beenden – obwohl allein an den Fronten neun Millionen Menschen starben, die meisten davon bei Kämpfen mit nur minimalen Geländegewinnen. So bezieht sich die Frage nach Schuld und Verantwortung nicht nur allein auf den Beginn des Krieges, sondern auch auf dessen Verlauf und Dauer.
Die Deutsche Infanterie auf dem Vormarsch
Der Versailler Vertrag
Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs begann im Januar 1919 im Schloss Versailles bei Paris die Friedenskonferenz, in der es um den Friedensvertrag zwischen Deutschland und den Kriegssiegern ging. Weitere Konferenzen mit Österreich-Ungarn, Bulgarien und dem Osmanischen Reich fanden ebenfalls 1919 in der Nähe von Paris statt.
In Versailles durfte das Deutsche Reich zunächst nicht teilnehmen. Einer deutschen Delegation wurden die Friedensbedingungen erst im Mai 1919 vorgelegt. Die Deutschen machten zahlreiche Gegenvorschläge, die aber abgelehnt wurden.
Schließlich unterzeichnete Deutschland den Friedensvertrag von Versailles im Juni 1919, unter der Drohung einer militärischen Intervention der Sieger. Deutschland musste hohe Reparationssummen zahlen, der genaue Betrag war im Juni 1919 aber noch offen.
Unterzeichnung des Versailler Vertrags
Hinzu kamen Gebietsabtretungen: sieben Prozent des Territoriums. Im Westen waren das unter anderem Elsass und Lothringen, im Osten Posen und Westpreußen. Außerdem musste Deutschland seinen gesamten Kolonialbesitz aufgeben.
In mehreren Grenzgebieten sollte das Volk zudem über seine staatliche Zugehörigkeit entscheiden. So fiel 1920 Eupen-Malmedy an Belgien, und Nordschleswig wurde zwischen Deutschland und Dänemark aufgeteilt. In den Abstimmungsgebieten Westpreußens und in Ostpreußen stimmte die Bevölkerung fast einstimmig für Deutschland.
Im Versailler Vertrag wurde auch von den Siegern festgeschrieben, dass Deutschland die alleinige Kriegsschuld trage. Besonders das führte in Deutschland zu einer strikten Ablehnung des Vertrags, der im ganzen Spektrum der politischen Richtungen von der äußersten Rechten bis zur Sozialdemokratie als "Diktat" und "Schandfriede" angesehen und scharf kritisiert wurde.
Verhandlungen in Versailles
(Erstveröffentlichung 2014. Letzte Aktualisierung 22.10.2019)
Quelle: SWR