Studentenverbindungen
Studentenverbindungen: Weltbild und Politik
Studentenverbindungen und Burschenschaften wollen Volkstum und Vaterland bewahren. Ihre Kritiker werfen ihnen dagegen vor, die Grenze vom Konservatismus zum Rechtsextremismus zu überschreiten.
Von Ingo Neumayer
Turnvater Jahn als geistiger Brandstifter
Die ersten Studentenverbindungen an deutschen Unis entstanden vor rund 200 Jahren. Schon in der Gründungsphase gab es sowohl liberal-aufklärerische Einstellungen als auch völkische und antisemitische.
Als geistiges Vorbild der Burschenschaften galt der "Turnvater" Friedrich Ludwig Jahn, der rassistische Positionen vertrat und in seinen Turnvereinen keine Juden zuließ. Im Oktober 1817 lud die Jenaer Urburschenschaft die deutsche Studentenschaft auf die Wartburg nahe Eisenach ein – angeblich Jahns Idee.
Dort fanden Diskussionen, Gottesdienste und Feiern statt – und auch eine Bücherverbrennung.
Friedrich Ludwig Jahn nahm 1817 an Bücherverbrennungen teil
Schriften von Gegnern der Burschenschaften wurden genauso ins Feuer geworfen wie der "Code Napoléon", der die Ziele der Französischen Revolution (Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit) gesetzlich regelte. Auch die Werke des jüdischen Autors Saul Ascher, der vor den Gefahren eines übersteigerten Nationalismus warnte, wurden verbrannt.
Zwar distanzierten sich viele Verbindungen später von Jahn, doch Volkstum und Nation blieben wichtige Begriffe. So lautet der Wahlspruch der Deutschen Burschenschaft, einem der größten Dachverbände, bis heute "Ehre, Freiheit, Vaterland". In ihrer Verfassung verpflichten sich die Burschenschafter zur freien Entfaltung des deutschen Volkstums "unabhängig von staatlichen Grenzen".
Im Gleichschritt mit Kaiser und Führer
Im Deutschen Reich nach 1871 waren Großmachtstreben, übersteigerter Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit weit verbreitet – auch unter Verbindungsstudenten. Diese standen beispielhaft für das damalige Idealbild des jungen Mannes: vornehm, vaterlandsliebend, militaristisch, hart gegen sich und andere.
Man verstand sich als Elite, die sich nicht an allgemeine Regeln zu halten hatte. So wurden in den meisten Verbindungen Mensuren gefochten, obwohl das Strafgesetzbuch Zweikämpfe mit tödlichen Waffen untersagte.
Ab 1880 schlossen viele Verbindungen Juden als Mitglieder aus. Auch die aufkommenden sozialistischen und sozialdemokratischen Bewegungen wurden abgelehnt. Für Frauen, die sich ab 1900 an den Universitäten einschreiben durften, war genauso wenig Platz in den Männerbünden – eine Einstellung, die sich bis ins 21. Jahrhundert weitgehend gehalten hat.
Bis heute nehmen viele Verbindungen nur Männer auf
Im Ersten Weltkrieg meldeten sich viele Korporierte freiwillig zum Kampf "für Kaiser und Reich" und blieben auch in der Weimarer Republik nationalistischen und monarchistischen Idealen verpflichtet. Der "Ruf nach einem starken Mann" wurde in den Augen vieler Verbindungen erhört, als Adolf Hitler und die NSDAP an die Macht kamen.
116 Jahre nach dem Wartburgfest kam es im Mai 1933 erneut zu Bücherverbrennungen. In einer Aktion "gegen den jüdischen Zersetzungsgeist", die die von Korporationen dominierte Deutsche Studentenschaft ersonnen hatte, wurden in 22 deutschen Universitätsstädten zehntausende Bücher ins Feuer geworfen.
Das Radio schnitt mit, die Massen klatschten Beifall, als Werke von Thomas Mann, Karl Marx, Bertolt Brecht, Sigmund Freud, Franz Kafka und vielen anderen ins Feuer geworfen wurden, begleitet von Schmähreden.
Verbindungsstudenten waren an den Verbrennungen beteiligt
Studentenbewegung ruft Krise hervor
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die studentischen Verbindungen aufgrund ihrer Verstrickungen ins Nazi-Regime verboten. Anfang der 1950er-Jahre wurden die Korporationen wieder zugelassen.
Eine Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle in der Nazizeit fand nicht statt. Stattdessen besann man sich seiner Wurzeln im Kaiserreich und bündelte so die konservativ-nationalistischen und reaktionären Kräfte unter den Studenten. Elitedenken und Standesdünkel blieben bestehen, die meisten Verbindungen ließen keine Ausländer, Frauen und Wehrdienstverweigerer zu.
Wiederbelebung in der Nachkriegszeit
Mit der Studentenbewegung geriet das Verbindungswesen ab Mitte der 1960er-Jahre in eine Krise. Es fanden sich kaum noch Neumitglieder ein, manche Verbindungen waren gezwungen, sich zu vertagen, das heißt den aktiven Betrieb einzustellen.
Die Korporationen reagierten mit zwei Strategien auf den Nachwuchsmangel: Manche Verbindungen öffneten sich, lockerten ihre Aufnahmekriterien und verzichteten auf die Mensur. Andere legten angesichts des gesellschaftlichen Linksrucks eine "Jetzt-erst-recht"-Haltung an den Tag und beharrten ganz bewusst auf ihren von der Mehrheit als "gestrig" bewerteten Traditionen und Ansichten.
Nähe zum Rechtsextremismus
Ab Mitte der 1970er-Jahre bildete sich im rechtsorientierten Lager eine neue Strömung, die sogenannte Neue Rechte. Dieses lose Netzwerk bestand aus meist jüngeren Intellektuellen, die Positionen in der Grauzone zwischen Konservatismus und Rechtsextremismus vertraten.
Hierbei kam und kommt es immer wieder zu Berührungen mit Studentenverbindungen, hauptsächlich Burschenschaften. Rechtsextreme und verurteile Volksverhetzer wurden als Redner zu Veranstaltungen eingeladen, es gab und gibt personelle Überschneidungen mit rechtsextremen Parteien wie der NPD. 2019 wurden Burschenschaften in verschiedenen Bundesländern vom Verfassungsschutz beobachtet.
Der Verfassungsschutz hat Burschenschaften im Visier
Auch innerhalb der Korporationen stießen und stoßen die Ansichten der Deutschen Burschenschaft auf Widerspruch. 1996 kam es aufgrund wachsender rechtsextremistischer Auswüchse zur Spaltung des Verbands. Mehrere Burschenschaften gründeten die gemäßigtere Neue Deutsche Burschenschaft, die in ihren Grundwerten die Mitglieder beispielweise dazu verpflichtet, die dunklen Seiten der deutschen Geschichte nicht zu leugnen oder zu verharmlosen.
Auch im 21. Jahrhundert steht die Deutsche Burschenschaft zu ihrem umstrittenen "volkstumbezogenen Vaterlandsbegriff" und verweist stolz auf ihre politische Unkorrektheit. Die meisten anderen Verbindungen geben sich gemäßigter. Dennoch: Eine politisch und gesellschaftlich konservative bis reaktionäre Haltung ist bei nahezu allen vorhanden.
(Erstveröffentlichung: 2008. Letzte Aktualisierung: 24.08.2021)
Quelle: WDR