Woher kommt Angst? Planet Wissen 00:34 Min. Verfügbar bis 04.12.2029 WDR Von 3sat/nano/Kelvinfilm/Roberto Verdecchia/Julia Zipfel/Jochen Schmidt; https://terraxplaincommons.zdf.de

Psychologie

Angst

Angst ist ein unangenehmes Gefühl und geht oft mit psychischen Störungen einher. Doch sie ist auch nützlich: Ohne die Angst hätte die Menschheit früher kaum überlebt.

Von Kai Althoetmar

Was ist Angst?

Auch heute noch warnt uns die Angst vor Risiken. Die "Schrecksekunde" ist zum Beispiel der Augenblick, in dem wir entscheiden, wie wir uns in einer bestimmten Situation verhalten.

Das Wort "Angst" stammt vom griechischen Verb "agchein" und dem lateinischen "angere" ab. Beides heißt übersetzt "würgen" oder "die Kehle zuschnüren". Über die Psychoanalyse und Existenzphilosophie hat sich das deutsche Wort international eingebürgert, etwa im Englischen als "angst". Während Furcht klar auf eine äußere Gefahr hin ausgerichtet ist, gilt Angst als unbestimmt.

In der Psychologie wird zwischen Angst als Zustand (state anxiety) und Angst als Eigenschaft (trait anxiety) unterschieden. Während die Zustandsangst eine vorübergehende Emotion infolge einer realen Gefahr ist, führt die "trait anxiety" dazu, dass Situationen auch ohne akute Bedrohung als gefährlich eingeschätzt werden.

Angst äußert sich körperlich unter anderem durch Pulsbeschleunigung, Erweiterung der Pupillen und Händeringen; psychisch wirkt sie als Gefühl des Entsetzens und der Ausweglosigkeit.

Angst ist aber nicht nur eine lähmende, sondern auch eine mobilisierende Emotion. So sind Menschen, die sich vor einer drohenden Gefahr ängstigen, manchmal zu Leistungen fähig, die ihnen unter normalen Umständen nicht möglich gewesen wären.

In riskanten oder als riskant empfundenen Situationen schütten die Nebennieren die Hormone Adrenalin und Noradrenalin aus. Das Herz schlägt dann schneller und das Blut bindet mehr Sauerstoff. Der Körper ist damit besser in der Lage, sich zu verteidigen oder zu fliehen. Nicht umsonst gibt es das Sprichwort, wonach Angst Flügel verleiht.

Merkmale der Angst Planet Wissen 12.12.2019 03:20 Min. Verfügbar bis 12.12.2024 WDR

Angst kann Menschen belasten und sogar psychisch ruinieren. Sie ist aber wegen ihrer Warnfunktion oft lebensrettend. Angst überkommt den Menschen meist unfreiwillig und unkontrolliert. Eine Ausnahme ist die Angst als Lust, der sich Menschen freiwillig aussetzen, sei es auf der Achterbahn oder beim Schauen eines Horrorfilms.

Die Emotionspsychologie unterscheidet zwei Bedingungen der Angst: Manche Menschen bekommen aus übergroßer Ängstlichkeit Angst. Andere verspüren Angst in einem Moment tatsächlicher, akuter Bedrohung.

Moderne Ängste

Ohne Angst könnte der Mensch heute kaum leben und seine Vorfahren hätten es schon gar nicht gekonnt. Die Angst warnt uns und hält uns davon ab, unverantwortliche Risiken einzugehen. Zugleich mobilisiert sie Kräfte, sei es zur Abwehr oder zur Flucht.

Im Laufe der Zivilisation sind die unmittelbaren Bedrohungen durch die Natur geringer geworden, vor allem für die Stadtmenschen in den Industrienationen.

Kein Säbelzahntiger bedroht uns mehr, auch Braunbären sind in Deutschland ausgerottet. Anders sieht es in Teilen Asiens, Afrikas und Amerikas aus. In manchen Gegenden Indiens müssen sich Holzfäller oder Kautschukzapfer heute noch vor Tigern oder Elefanten in Acht nehmen.

In der Wohlstandsgesellschaft haben sich dagegen neue Ängste herausgebildet: sei es die Angst vor Atomkraft, Arbeitslosigkeit oder genetisch veränderten Lebensmitteln. Die modernen Ängste sind auch zum politischen Faktor geworden: In der westlichen Welt nahmen sich als erstes die grünen Parteien der Ängste um die Umwelt an und zogen damit in die Parlamente ein.

Andere Zeiten – andere Ängste | Bildquelle: dpa

Philosophie der Angst

Platon und Aristoteles begriffen Angst in der Antike noch primär als physische Reaktion, die sich auf konkrete Objekte bezieht. So kommt die Angst auch nicht in Aristoteles' Werk "De anima" (Über die Seele) vor. Der abendländische Kirchenvater Augustinus (354-430 nach Christus) sah die Angst als eine der vier menschlichen Hauptleidenschaften. Er unterschied die niedrige Furcht vor Strafe von der höher bewerteten Furcht vor Schuld aus Ehrfurcht vor Gott.

Der dänische Theologe Sören Kierkegaard (1813-1855) betrachtete die existenzielle Angst als Wesensmerkmal menschlichen Denkens und der Willensfreiheit. Im Sprung in den Glauben soll laut Kierkegaard die Angst überwunden werden.

Für den deutschen Existenz-Philosophen Martin Heidegger (1889-1976) war Angst eine Grundbefindlichkeit, in der das Dasein auf sich selbst zurückgeworfen wird. In der Angst eröffnet sich der Existenz ihre Endlichkeit und ihre Nichtigkeit, denn der Mensch empfindet das Dasein als "Sein zum Tode".

Der Philosoph Martin Heidegger | Bildquelle: akg

Theorien zur Angst

Die Theorien zur Angst stammen vor allem aus der Psychoanalyse, der Lerntheorie und der Kognitionspsychologie. In der Psychoanalyse Sigmund Freuds gilt das Ich als "Angststätte". Dem Ich werden aus drei Quellen Furchtgefühle eingeflößt: durch Angstsignale aus der Außenwelt ("Realangst"), durch die Triebe des Es, also des Unbewussten ("neurotische Angst"), und durch Bedrohungen des Über-Ichs ("Gewissensangst").

Die Lerntheorie besagt, dass viele Ängste im Laufe des Lebens durch individuelle Lernprozesse entstehen, aber durch Lernprozesse auch wieder abgebaut werden. Die Erklärung für diesen erfahrungsbedingten Einfluss auf die Angst sind die Konditionierung, also das Lernen auf Reize zu reagieren und das instrumentelle Lernen von Abwehrreaktionen. Kinder lernen zum Beispiel von Eltern, die bestimmte Ängste zeigen, diese Ängste zu übernehmen.

Die kognitive Angsttheorie betont, dass die emotionalen Konsequenzen aus der Informationsverarbeitung eines Menschen zu Angst führen können. Angst entspricht dann dem "Wegfall interner Kontrolle" (J. B. Rotger) oder "gelernter Hilflosigkeit" (E. P. Seligman). Angst ist also Folge eines Kontrollverlustes durch Fremdheit, Ungewissheit, Verlassenheit oder die Vorwegnahme von Gefahr.

Phänomene und Therapien

Besondere Phänomene der Angst sind die Angstlosigkeit und die Angstlust. Pathologische Angstlosigkeit heißt, dass das Individuum aus unterschwelliger Aggressivität jede Gefahr ignoriert. Angstlust wiederum ist das "Spiel mit dem Feuer", bei dem die Gefahr belebend wirkt.

Soweit Angst pathologische, also krankhaft-besessene Formen annimmt, sollte sie therapiert werden. Denn Angst kann zu emotionalen Dauerschäden führen, sei es zu "chronischer Panik" oder einer dauerhaften "pessimistischen Erwartungshaltung". Angst ist deshalb in den vergangenen Jahren zu einem viel diskutierten Thema der Emotionspsychologie geworden.

Ein heute oft gewählter Weg zur Überwindung von Phobien ist die Konfrontationstherapie, bei der der Patient immer wieder der ihn ängstigenden Situation ausgesetzt wird. Konkret: Wer Angst vor Spinnen hat, wird behutsam daran gewöhnt, mit Spinnen halbwegs angstfrei umzugehen. Die Angst wird quasi wegtrainiert, wenngleich das Angstgedächtnis bestehen bleibt.

Die Konfrontation soll die Angst überwinden | Bildquelle: dpa/Jens Schierenbeck

(Erstveröffentlichung 2002. Letzte Aktualisierung 05.10.2020)