Asiatische Kampfkunst
Die Shaolin-Mönche von Song Shan
Shaolin-Mönche sind vielen Europäern aus Actionfilmen und Serien bekannt. Doch mit dem Alltag im chinesischen Kloster Shaolin hat das wenig zu tun. Die Schüler lernen hier zwar Kung-Fu, doch betreiben sie die Kampftechnik vor allem zur Meditation.
Von Alexandra Stober
Mit Muskelübungen zur Erleuchtung
Vermutlich war es der Inder Bodhidharma, der den Grundstein für die Techniken des Shaolin-Kung-Fu legte. Im 6. Jahrhundert nach Christus reiste der indische Mönch nach China. Er ließ sich der Legende nach im Shaolin-Tempel nieder, am Fuße des heiligen Gebirges von Song Shan in der Provinz Henan im Osten des Landes.
Bodhidharma führte dort den Chan-Buddhismus ein, der auch Zen-Buddhismus genannt wird, und gilt damit als einer der Begründer der Shaolin-Kampfkunst. Diese wird allerdings erst 728 zum ersten Mal schriftlich erwähnt.
Historiker vermuten, dass Bodhidharma Yoga-Übungen in Shaolin einführte. Ob sich daraus das heutige Kung-Fu entwickelte, ist nicht eindeutig belegt.
Fest steht nur, dass es zwischen 512 und 527 einen Mönch im Tempel gab, der zum Abt aufstieg und ein System von Muskelübungen lehrte, das helfen sollte, die Erleuchtung zu erreichen. Der Mönch hieß Da Mo – unter diesem Namen ist Bodhidharma in China bekannt.
Wie sich das Kung-Fu aus Shaolin weiterentwickelt hat, ist unklar. Es gibt einen Beleg für eine kriegerische Auseinandersetzung im Jahre 610. Die Mönche mussten ihr Kloster gegen Banditen verteidigen. Elf Jahre später unterstützten sie die Tang-Dynastie und kämpften gegen General Wang Shichong – und siegten.
Es gibt allerdings keine Belege dafür, dass die Mönche ihre Kampftechniken bereits zu dieser Zeit täglich im Kloster praktizierten.
Die Ursprünge der Kampftechniken liegen im Dunkeln
Disziplin und Hierarchie
Im 7. Jahrhundert stieg die Zahl der Anhänger des Chan-Buddhismus rasch an. Immer mehr Menschen drängten nach Shaolin, um im Kloster zu leben. Die Mönche führten strikte Aufnahmeverfahren ein. Um 700 lebten dort etwa 1500 Mönche, die auf der Grundlage des Buddhismus beteten, meditierten und ihre Körper ertüchtigten.
Schüler, Getreue und Meister – im Kloster gibt es bis heute strenge Hierarchien. Die Schüler erledigen vorwiegend niedere Arbeiten wie waschen, kochen und putzen. Die Getreuen werden von den Meistern in Philosophie, Kampftechnik und Traditioneller Chinesischer Medizin ausgebildet. Wer diese gut beherrscht, kann zum Meister aufsteigen.
Meditation ist eine wichtige Säule der Ausbildung zum Shaolin-Mönch
Die fünf Tierstile der Shaolin
Seine Blütezeit erlebte das Shaolin-Kloster zwischen 1368 und 1644, da es von der regierenden Ming-Dynastie gefördert wurde. Während dieser Zeit war die Armee des Klosters etwa 2500 Mann stark. Die Shaolin übten ihre Kampfkunst in zahlreichen Variationen aus. Der Mönch Jue Yuan reformierte die Körperübungen, die es bis dahin gab. Zum neuen System gehörten 72 Übungen, darunter Schläge, Tritte, Würfe und Griffe.
Jue Yuan reiste durchs Land, um andere Kampfkunst-Experten zu treffen. Sein Ziel war es, die Kampftechniken der Shaolin zu perfektionieren. Zum Ende der Reise hatte er die fünf Tierstile entwickelt. In den Übungen geht es darum, die Bewegungen der Tiere der chinesischen Astrologie nachzuahmen: der Schlange, des Drachens, Tigers, Leoparden und Kranichs.
Ein Mönch soll so die Instinkte und Fähigkeiten dieser Arten erlernen. Die Schlange symbolisiert die Dehnung, der Drache die geistige Entwicklung und der Tiger die Stärkung von Knochen und Muskeln. Der Leopard steht für Schnelligkeit, Koordination und Ausdauer und der Kranich für die allgemeine Kräftigung.
Das Kloster der Shaolin ist bis heute der einzige buddhistische Tempel Chinas, in dem die Kampfkunst aktiv gefördert wird. Doch nur unter einer Prämisse: Die Mönche dürfen die Verteidigungs- und Angriffstechniken nur einsetzen, wenn die Umstände es erfordern. Im Klosteralltag spielen zudem die Kampftrainings gegenüber den religiösen Ritualen eine untergeordnete Rolle.
Zerstörung durch die Regierung
Nach 1644 wurde das Shaolin-Kloster einige Male zerstört. In den 1920er-Jahren etwa stritten zwei Kriegsherren darum, wem es zustand. Einer der beiden steckte den Tempel in Brand. Nur wenige Mönche überlebten das Feuer und auch die meisten religiösen Kunstschätze und geheimen Schriften verbrannten.
1949 ließ die neue Regierung der Volksrepublik China den Shaolin-Orden zunächst gewähren. 1966 rief Mao Zedong die Kulturrevolution aus. Fortan waren die Mönche nicht mehr sicher: Sie wurden verfolgt und vertrieben. Einige von ihnen lebten dennoch in den Ruinen des Klosters weiter.
Erst seit den 1980er-Jahren dürfen die Shaolin wieder offiziell in ihrem Kloster praktizieren, das Chinas Regierung wieder aufbaute. In der Folgezeit siedelten sich unzählige Kung-Fu-Schulen rund um das Kloster an, die sich mit dem Namen Shaolin schmückten.
Dem Abt war das Dorn im Auge. Mit Unterstützung der Regierung ließ er 2001 die Betreiber der Kampfschulen enteignen. Während die Mönche im Kloster weiterhin nach strengen Regeln leben, in Enthaltsamkeit und zu Ehren Buddhas, toben sich vor den Toren Shaolins die Touristen aus. Bei Schaukämpfen und an Souvenirständen.
Shaolin-Kloster in der chinesischen Provinz Henan
(Erstveröffentlichung 2012. Letzte Aktualisierung 19.06.2019)
Quelle: WDR