Was ist eine Demokratie? Planet Wissen 01:23 Min. Verfügbar bis 17.06.2029 WDR Von ZDF/logo/Christian Hill/Heidi Stifel, Peter Steinkönig, https://terraxplaincommons.zdf.de

Deutsche Geschichte

Wie Deutschland ab 1945 zur Demokratie wurde

Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer Staat. Aber was macht unsere Demokratie aus und wie ist sie entstanden? Der Grundstein wurde in den ersten Wochen nach dem Zweiten Weltkrieg gelegt.

Von Carsten Günther

Die "Stunde Null" 1945

Demokratie bedeutet "Herrschaft des Volkes". Das heißt, das Volk bestimmt über seine Angelegenheiten selbst.

Das zeigt sich an vielen Stellen in unserem Alltag: Regelmäßig wählen wir die Abgeordneten des Bundestages, der Landtage oder Stadträte. Wir können überall unsere Meinung sagen, uns in allen Medien frei informieren und dürfen auf Demonstrationen öffentlich unsere Zustimmung oder Ablehnung von politischen Entscheidungen zeigen.

Doch diese Staatsform ist keine Selbstverständlichkeit. Viele Menschen auf der Erde leben in Diktaturen und werden von Herrschern regiert, die ihr Volk unterdrücken.

In Deutschland gab es demokratische Bestrebungen schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts, unter anderem während der Deutschen Revolution von 1848/49. Aber erst 1919 entstand die erste deutsche Demokratie: die so genannte "Weimarer Republik".

Sie dauerte nur vierzehn Jahre und endete 1933 mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten, die alle demokratischen Elemente abschafften und eine faschistische Diktatur errichteten – also einen Staat ohne Meinungsfreiheit, in dem politische Entscheidungen auch mit Gewalt durchgesetzt werden.

Erst nach dem Zweiten Weltkrieg bekam die Demokratie in Deutschland wieder eine Chance. Die Zeit direkt nach Kriegsende im Mai 1945 nennt man "Stunde Null". Viele Städte waren durch den Bombenkrieg zerstört, die Herrschaft der Nationalsozialisten war beendet. Wie ein neuer deutscher Staat in Zukunft aussehen sollte, war noch völlig unklar.

Kriegsende 1945 – wie soll ein künftiger deutscher Staat aussehen? | Bildquelle: picture alliance / ZB

Deutschland hatte den Krieg verloren und wurde von den Siegermächten in vier Besatzungszonen aufgeteilt: die US-amerikanische, die sowjetische, die britische und die französische.

Die Siegermächte standen vor einer großen Aufgabe: Wie können aus den Deutschen, die zwölf Jahre lang gehorsam einer menschenverachtenden Politik gefolgt waren, wieder zivilisierte Menschen werden, die respektvoll mit ihren Mitmenschen umgehen? Wie erzieht man ein Volk, das vom Gedanken der Weltherrschaft besessen war, zu Friedfertigkeit und Toleranz? Wie erschafft man aus einer ehemaligen Diktatur eine Demokratie?

Entnazifizierung und Umerziehung

Eine dringende Aufgabe war die so genannte "Entnazifizierung". Das bedeutet: Alle Deutschen, die sich an den Verbrechen des Nationalsozialismus beteiligt hatten, sollten dafür vor Gericht gestellt werden. Denn die Siegermächte wollten sicherstellen, dass kein Nazi wieder in Politik, Wirtschaft und Kultur Karriere machen konnte. Sie verboten auch die Nazi-Partei NSDAP und ihre Unterorganisationen.

In der französischen, der britischen und der amerikanischen Besatzungszone mussten die Menschen Fragebögen ausfüllen, in denen sie Auskunft über ihre politische Tätigkeit während der Nazi-Zeit geben mussten. Je nach Schwere der Schuld drohten ihnen Berufsverbote oder sie mussten Teile ihres Vermögens abgeben.

Entnazifizierung – ein Volk auf der Anklagebank | Bildquelle: picture alliance / dpa

Auch in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) wurden viele führende Nazis aus Ämtern entlassen und verurteilt. Allerdings ging es dabei auch darum, Gegner des Sozialismus aus dem Verkehr zu ziehen – schließlich wollte die Sowjetunion in diesem Teil von Deutschland einen neuen sozialistischen Staat aufbauen.

Die Militärregierungen der drei westlichen Zonen beschlossen, die Deutschen zu Demokraten "umzuerziehen". Diese "Umerziehung" – auf Englisch "Re-education" – war ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem neuen demokratischen Staat. Sie sollten lernen, eine eigene Meinung zu haben und diese auch gegenüber anderen zu vertreten. Mit Hilfe von Lehrfilmen und in Workshops lernten die Menschen, wie man Diskussionen führt und die Meinung des anderen respektiert.

Freie Presse und politische Parteien

Ein weiterer wichtiger Schritt in Richtung Demokratie war der Aufbau einer neuen Presselandschaft. Während der Zeit des Nationalsozialismus waren Zeitungen und Rundfunk "gleichgeschaltet" gewesen. Das heißt: Die Politik bestimmte, wie und worüber berichtet wurde, und daran mussten sich alle Medien halten. Nun erschienen nach und nach neue Printmedien und Radiosender, die eine Vielfalt von Meinungen widerspiegelten.

Bereits 1945 erlaubten die Siegermächte die Neugründung der ersten politischen Parteien. Während der Nazi-Zeit hatte es nur eine einzige Partei gegeben: die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP). Alle anderen Parteien waren verboten gewesen. Dies sollte sich nun ändern, denn eine Demokratie lebt vom Austausch unterschiedlicher politischer Standpunkte.

Bei den ersten Wahlen konnten die Westdeutschen ab 1946 praktisch erleben, wie eine Demokratie funktioniert. Die Wahlkämpfe waren meist improvisiert: Papier und Kleister war knapp, Plakate wurden selbst geschrieben und die Wahlveranstaltungen fanden oft auf behelfsmäßigen Bühnen inmitten der Trümmerlandschaften statt.

Bei den ersten Wahlkämpfen war Improvisationsgeist gefragt | Bildquelle: WDR / dpa

(Erstveröffentlichung 2024. Letzte Aktualisierung 12.12.2024)