"Lernt von den Lilien"
Im Evangelium nach Matthäus heißt es: "Und was sorgt ihr euch um eure Kleidung? Lernt von den Lilien, die auf dem Feld wachsen: Sie arbeiten nicht und spinnen nicht."
Bis ins Mittelalter war Arbeit etwas, das erledigt werden musste. Ein notwendiges Übel, um satt zu werden und über die Runden zu kommen. Man arbeitete hauptsächlich in der Landwirtschaft und lebte buchstäblich von der Hand in den Mund.
Einem guten Leben stand die Arbeit eher im Weg. Viel lieber feierten die Menschen, tanzten, spielten und sangen miteinander. Bis zu 100 Feiertage im mittelalterlichen Jahr sorgten dafür, dass die Arbeit nicht in den Vordergrund geriet.
Denn wozu auch mehr arbeiten? Habgier und Gewinnstreben galten als Laster, materieller Wohlstand als Ausdruck sündiger Diesseitigkeit.
Die Geschichte der Arbeit
Planet Wissen . 06.02.2020. 02:19 Min.. Verfügbar bis 06.02.2025. WDR.
Der Mensch – zur Arbeit geboren?
Das änderte sich mit Martin Luther im 16. Jahrhundert. Er prägt bis heute unsere Vorstellung von Arbeit. Bei ihm wurde Arbeit zur Berufung, Müßiggang zur Sünde. Durch Arbeit solle der gläubige Christ seinem Gott dienen, jeden Tag, schrieb Luther. Der Mensch sei zur Arbeit geboren.
Von nun an arbeitete man nicht mehr, um zu leben. Sondern lebte, um zu arbeiten. Noch radikaler sind die Puritaner: Wer es durch seiner Hände Arbeit zu finanziellem Wohlstand schafft, sei von Gott erwählt, glauben sie. Nur zeigen darf man seinen Reichtum nicht, denn das gilt als verpönt.
"Der Mensch sei zur Arbeit geboren"
Zwang zur Arbeit durch Hungerlöhne
Mitte des 18. Jahrhunderts begann die Industrialisierung. Die Bevölkerungszahlen explodierten, doch ohne Land verloren die Menschen ihre Existenzgrundlage. Frauen, Männer und Kinder strömten in die neuen Fabriken, Bauern wurden zu Arbeitern. Eisenbahn und Dampfmaschine beschleunigten die Welt, die Produktion verdreifachte sich.
Doch die Arbeiter sahen es zunächst nicht ein, mehr zu arbeiten als nötig. Wurde der Lohn ausgezahlt, so ließen sie die Maschinen einfach stehen. So senkten die Fabrikanten die Löhne und zwangen die Belegschaft durch Hungerlöhne, immer mehr zu arbeiten.
Der Kapitalismus manifestierte sich, die Arbeiterbewegung entstand. Nur langsam verbesserten sich die Arbeitsbedingungen. Sozialisten verklärten Arbeiter zu Helden und forderten das Recht auf Arbeit.
Hier ähneln sich Sozialismus und Kapitalismus: In dem sozialistischen Kampflied "Die Internationale" heißt es: "Den Müßiggänger schiebt beiseite, diese Welt muss unser sein!" Der Automobilfabrikant Henry Ford sah es ähnlich: "Die Zivilisation hat keinen Platz für den Müßiggänger."
Arbeiter müssen mehr und härter für ihr Gehalt arbeiten
Traumjobs und prekäre Beschäftigung
Die DDR verbürgte in ihrer Verfassung das "Recht auf Arbeit". Dass auch Frauen arbeiteten, war hier selbstverständlich. Im Westen Deutschlands blieb es nach dem Zweiten Weltkrieg bei der traditionellen Rollenverteilung. Erst die 68er-Bewegung rebellierte gegen starre Normen und für freiere Lebenskonzepte.
Später kam es durch Ölkrisen und Globalisierung zu Höchstständen der Arbeitslosenzahlen. Viele Arbeitsplätze wurden dorthin verlegt, wo die Kosten günstig sind.
Viele Arbeitsverhältnisse werden zunehmend prekär. Wer einen gut bezahlten Job ergattert, widmet sich ihm oft mit ganzer Leidenschaft – mit Erreichbarkeit rund um die Uhr. So leben wir heute mehr denn je ganz im Sinne Luthers und empfinden Arbeit eben als Berufung.
Quelle: SWR | Stand: 06.05.2020, 17:45 Uhr