Deutschland sucht den Superkoch
Die deutschen Gourmetführer beurteilen Deutschlands Spitzenköche. Sie sind handlich, dick und schwer, und sie heißen "Michelin – Roter Führer", "Gault-Millau", "Varta-Führer" oder "Der Feinschmecker" wie die gleichnamige Zeitschrift. Sie entscheiden, wer ganz oben ist und wer in die Mittelmäßigkeit abdriftet.
Denn Gourmetführer sind auch Reiseführer: Sie informieren die Feinschmecker, in welches Dorf und in welche Region eine Reise lohnt, um dort die Spitzenküche zu probieren.
Der deutsche Sternekoch Dieter Müller
Besonders der Rote Führer des Michelin-Konzerns gilt als die Bibel der Branche – sein Wort ist Gesetz, sein Urteil ist unangreifbar. Auf mehr als 1600 Seiten versammelt Michelin 35.000 Kurzkritiken über Deutschlands Hotels und Gastronomiebetriebe. Das bedeutet einen enormen redaktionellen Aufwand, denn jedes Etablissement wird durch einen anonymen Tester genau unter die Lupe genommen.
Die Krönung für jeden Spitzenkoch ist der Michelin-Stern, der eigentlich eher einer zart gewundenen Schneeflocke gleicht. Wer mit dem Michelin-Stern ausgezeichnet wird, gilt als gemachter Mann. Wer gar zwei erhält, spielt längst in der Champions League der Gastronomie.
Das Michelin-Männchen wurde weltbekannt
2017 konnten sich 39 deutsche Restaurants mit zwei Sternen und elf Restaurants sogar mit drei Sternen schmücken. Zum ersten Mal wurden in Deutschland insgesamt mehr als 300 Restaurants von Michelin ausgezeichnet – das war weltweit Platz zwei hinter Frankreich.
Bis heute macht Michelin ein großes Geheimnis darum, welcher Koch in welcher Küche aufgrund welcher Kriterien den dritten Stern verliehen bekommt.
Krieg der Sterne
Seit 1898 honoriert Michelin Spitzenköche mit einem Stern. Er macht dem Gastronomen Freude, der ihn bekommt. Frust bereitet er denjenigen, denen er wieder abgenommen wird oder die ihn erst gar nicht erhalten.
Für Aufsehen sorgte 2003 die Entscheidung des Freiburger Spitzenkochs Matthias Dahlinger: Er gab seinen Stern zurück. Dahlinger fühlte sich mehr und mehr unter Druck gesetzt.
Die Lagerung zu vieler sehr guter Weine, Kerzen, Tischarrangements, Tafelsilber, Kristall, Blumen und natürlich ein großes Repertoire erlesener Speisen brachten zwar Ruhm und Ehre, aber auch horrende Ausgaben. Dahlinger setzte wieder auf Gerichte, die weniger kostspielig sind, aber umso mehr Gäste ansprechen.
Alternative zu Michelin: die Kritiken des Gault-Millau
Keine Sterne, dafür beißende Kritiken – bisweilen auch amüsant, aber immer lesenswert – sind das Markenzeichen des Gault-Millau. Der Gourmetführer verfügt weder über die Testerkapazitäten des Michelin-Führers, noch steht die Anonymität des Testers im Vordergrund.
Zu Negativ-Schlagzeilen führte der Selbsttötung des französischen Drei-Sterne-Kochs Bernard Loiseau im Februar 2003, der im komplizierten Punktesystem bei Gault-Millau von 19 auf 17 Punkte abgewertet wurde (die Höchstpunktzahl liegt bei 20 Punkten). Starkoch Paul Bocuse erhob damals massive Vorwürfe gegen den Gourmet-Führer, den er für Loiseaus Selbsttötung verantwortlich machte.
So problematisch Bewertungen durch die Gastroführer auch sein mögen: Dem Laien wie dem Experten unter den Gourmets sind sie dennoch Wegweiser durch den Dschungel der mittelmäßigen, guten und sehr guten Gourmetküchen Deutschlands.
Ob man als Gast mit den Empfehlungen übereinstimmt, bleibt jedem selbst überlassen. Schließlich lässt sich über Geschmack streiten – eine Tatsache, die seinerzeit den Grundstein für die Gourmet-Reiseführerbranche legte.
(Erstveröffentlichung 2003. Letzte Aktualisierung 10.12.2020)
Quelle: SWR