Mythos Bankraub
"Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?", heißt es im berühmten Theaterstück "Die Dreigroschenoper" des deutschen Schriftstellers Bertolt Brecht. Bei kaum einem anderen Delikt können die Täter nach einer gelungenen Tat auf so viel Respekt hoffen, wie nach einem Einbruch in eine Bank.
Umgangssprachlich versteht man übrigens unter Bankraub nicht nur den Überfall, sondern auch den Einbruch in eine Bank – obwohl das Wort "Raub" eigentlich den Einsatz oder die Androhung von Gewalt umfasst.
Räuber bekommen große Aufmerksamkeit in den Medien und die mitunter verklärende Mythenbildung in Kino oder Literatur. Prominente Bankräuber wie die Brüder Sass oder das Liebes- und Gangsterpärchen Bonnie und Clyde wurden schon zu Lebzeiten zum Mythos auf und waren absolut medientauglich.
Postkutschenraub im Wilden Westen
Mit dem Bankraub moderner Prägung verbinden sich lang gehegte Wünsche: der Wunsch nach dem schnellen Geld und damit verbunden der Traum vom sozialen Aufstieg.
Das Phänomen Bankraub hatte seinen Ausgangspunkt in den Vereinigten Staaten von Amerika (USA). Entscheidend für seine Entstehung waren Voraussetzungen, die in den USA, im Gegensatz zu Europa, schon Mitte des 19. Jahrhunderts gegeben waren: ein wenig kontrollierbarer öffentlicher Raum und eine relativ durchlässige Gesellschaftsstruktur.
Für US-Bürger bestand zum Beispiel keine Pflicht, die eigene Identität durch einen Personalausweis zu belegen oder einen festen Wohnsitz vorzuweisen. Außerdem gab es ein gut ausgebautes Netz von Geldinstituten, das Auto als Fortbewegungsmittel und Fluchtfahrzeug sowie leicht tragbares Papiergeld.
Denn im Gegensatz zu Europa gab es in den USA schon relativ früh Geldscheine kleiner Summen für den täglichen Zahlungsverkehr – keine lästigen schweren Münzen mehr, das Abtransportieren der Beute wurde enorm erleichtert.
Nach dem Amerikanischen Bürgerkrieg (1861-1865) erlebten die Vorläufer des Bankraubs eine erste Blütezeit, nämlich die Überfälle auf Postkutschen und Eisenbahnzüge in der Weite des Wilden Westens. Es war die Zeit von Revolverhelden wie Jesse James und seiner Bande.
Wer mit der Postkutsche reiste, lebte gefährlich
Tresorknacker in den Großstädten
Dank der leichten Geldscheine boomte auch eine andere Variante des Bankraubs: die Tresorknackerei, angesiedelt in den Großstädten wie New York. Im Gegensatz zu den Überfällen der Gangster des Wilden Westens setzten Tresoreinbrüche ein gewisses handwerkliches Geschick voraus.
Der Typ des Gentleman-Gangsters wurde zum amerikanischen Exportartikel. Die Herren – allen voran der "Napoleon der Unterwelt" Adam Worth – reisten nach Frankreich und England, arbeiteten in Paris und London.
Allein das wilhelminisch-autoritäre Deutschland ließen sie aus. Hier wurde der Bankraub erst in den 1920er-Jahren als Delikt relevant. Nach dem Vorbild amerikanischer Safeknacker arbeiteten die Brüder Franz und Erich Sass, als sie im Jahr 1929 den Tresor der Disconto-Gesellschaft in Berlin mit viel Geschick knackten und ausraubten.
Ben Becker und Jürgen Vogel als Sass-Brüder im Spielfilm von 2001
Die 1960er – Hochphase des Amateur-Bankraubs
Nach dem Zweiten Weltkrieg bauten die Geschäftsbanken ein weit verzweigtes Filialnetz auf, der Überfall auf die Ein-Mann-Zweigstelle wurde zum "Deutschen Volkssport", wie es 1970 in einer kriminalistischen Studie hieß.
In der Bundesrepublik Deutschland verzehnfachte sich die Zahl der erfassten Überfälle innerhalb weniger Jahre: Zählte man 1962 bundesweit 53 Fälle, waren es 1966 bereits 389.
In den USA gab es zwischen 1967 und 1973 jährlich bis zu 2600 Delikte, die der Kategorie Banküberfall zugerechnet wurden – auch pro Kopf der Bevölkerung mehr als in Deutschland. Im Gegensatz zu den Tresorknackern vergangener Tage waren jetzt überwiegend Amateure am Werk, die meist nach einem Schema vorgingen: Hineinrennen, Geld geben lassen und weglaufen.
Die Verwendung von Panzerglas für die Kassierer-Häuschen wurde Pflicht, und die Installation von Videokameras zur Überwachung der Bankschalter und zur Abschreckung setzte trotz Datenschutz-Bedenken ein.
Panzerglas soll Bankangestellte vor Schüssen schützen
Bankraub als politisches Statement
Die 1970er-Jahre waren auch die Zeit des politisch motivierten Bankraubs. Nach dem Vorbild der Tupamaros in Uruguay führten radikale Organisationen wie die Rote Armee Fraktion (RAF), die "Bewegung 2. Juni" oder die Roten Brigaden in Italien sogenannte "Enteignungsaktionen" durch, die sie als revolutionären Akt und Teil des Kampfes um soziale Gerechtigkeit verstanden.
Banküberfälle waren das Mittel der Wahl gegen die chronische Unterfinanzierung ihrer Aktivitäten. Mit der Abflauen der linksradikalen Bewegung kehrte auf diesem Sektor erst einmal wieder Ruhe ein.
Bankraub in der DDR
Banküberfälle scheint es bis zum Jahr 1989 in der DDR nicht gegeben zu haben. Einer der Hauptgründe dafür war wohl die Wertlosigkeit der DDR-Mark: Viel Geld zu erbeuten machte wenig Freude, wenn man sich Träume wie eine Weltreise oder ein eigenes Haus davon ohnehin nicht erfüllen konnte.
Nach dem Mauerfall und dem Inkrafttreten der Währungsunion erlebte die frühere DDR einen plötzlichen, bis dahin unbekannten Anstieg an Banküberfällen: Für westdeutsche Bankräuber waren die schlecht gesicherten ostdeutschen Geldinstitute ohne Panzerglas, Videoüberwachung und Alarmanlagen ein echtes Schlaraffenland.
Allein in Brandenburg wurden von Juli 1990 bis Januar 1991 mehr als 60 Banken überfallen.
Digitaler Bankraub
Solange viele Menschen Glück in der Maßeinheit Geld messen, wird es Banküberfälle und Bankräuber geben. Der klassische Banküberfall aber ist ein Delikt des ausgehenden 19. und des 20. Jahrhunderts.
Bankeinbrüche sind seit Jahren konstant rückläufig: Zählte man zum Beispiel im Jahr 1997 noch 1322 Raubüberfälle auf Geldinstitute, Postfilialen und -agenturen, waren es im Jahr 2018 nur noch 60 solcher Überfälle und 2021 ganze 28.
Wer heute vom großen Geld träumt, setzt angesichts eher auf Bytes statt auf Banknoten. Aus Sicht der Täter ist es mittlerweile wesentlich lohnenswerter, elektronische Konten zu manipulieren als mit Waffengewalt einen Tresor auszurauben: Das Risiko, entdeckt zu werden, ist kleiner und die Beute oft höher.
Während ein traditioneller Bankräuber im Schnitt um die 30.000 Euro erbeutet, kann ein Computerganove mit durchschnittlich zwei Millionen Dollar rechnen, so Betrugsuntersuchungsfachleute. Das wird über die Zeit hinweg die Figur des Bankräubers neu definieren.
Den traditionellen Bankräuber wird es zwar weiterhin geben, aber es sind durch das Internet längst neue virtuelle Formen hinzugekommen. Der Cyberspace-Bankräuber analysiert zunächst die Geldkreisläufe der global vernetzten Wirtschaft und nutzt die Schwachstellen und die Lücken im System zu seinen Gunsten.
(Erstveröffentlichung 2004. Letzte Aktualisierung 10.05.2022)
Quelle: WDR