Zwei Wandergesellen

Handwerk

Als Handwerker auf der Walz

"Die Walz" sind die Wanderjahre für junge Handwerker. Nach ihrer Gesellenprüfung dürfen sie für einige Jahre durchs Land ziehen, um andere Aspekte ihres Berufs kennenzulernen. Diese Tradition gibt es schon seit dem 12. Jahrhundert. Heute sind etwa 450 Menschen bei uns auf der Walz.

Von Tanya Rothe und Anette Kiefer

Die Geschichte der Walz

Vom Spätmittelalter bis Mitte des 18. Jahrhunderts war die "Walz" Voraussetzung für den Gesellen, seine Meisterprüfung zu beginnen. Damals gab es so genannte Zünfte: Sie waren Interessensvertretungen der Handwerker und regelten nicht nur, wer als Handwerker arbeiten durfte, sondern auch die Ausbildung der Gesellen.

Die einzelnen Zünfte regelten die Dauer und den Ablauf der Walz-Wanderschaft. Sinn des Wanderns war es auch, viele neue Erfahrungen zu machen und später den väterlichen Betrieb zu übernehmen.

War ein Wandergeselle in einer fremden Stadt angekommen, musste er sich beim Zunft- oder Zechvater der entsprechenden Organisation seines Handwerks vorstellen. Fand er keine Arbeit, bekam er ein sogenanntes Zehrgeld und reiste weiter.

Im 18. Jahrhunderts begann die Industrielle Revolution in Europa und es entstanden Konflikte mit dem alten Handwerk. Das Wandern verlor an Bedeutung, da die Betriebe größer wurden das in ihrem Unternehmen vermittelte Wissen auch für sich nutzen wollten. Hochschulen und Gewerbeschulen wurden gegründet. Nur in wenigen Haupt- und Nebengewerken des Bauhandwerks blieb die Wanderschaft erhalten. Auch die Politiker Friedrich Ebert und August Bebel gingen als junge Handwerker auf die Walz.

Die Zahl der reisenden Gesellen unterlag großen Schwankungen. Anfang des 20. Jahrhunderts bis Ende der 1920er-Jahre waren Tausende Wandergesellen in Deutschland unterwegs. Während des Ersten Weltkriegs und des Zweiten Weltkriegs ging die Zahl der Wanderungen stark zurück, da viele junge Männer als Soldaten kämpfen mussten.

Handwerksburschen auf der Wanderschaft, 1935

Handwerksburschen auf der Wanderschaft, 1935

Anfang der 1950er-Jahre stieg das Interesse an der traditionellen Walz wieder, erreichte aber nie die Dimensionen der 1920er. In OStdeutschland (der DDR) wurde das zünftige Reisen bald verboten; die geltenden Bedingungen der Volkseigenen Betriebe machten das Arbeiten an verschiedenen Arbeitsstellen nahezu unmöglich.

Mit dem wachsenden Wohlstand sank in Westdeutschland (BRD) die Motivation, für drei Jahre auf die Straße zu gehen, sodass in den 1970er-Jahren die reisenden Handwerksleute in ihrer traditionellen Kluft eine Seltenheit waren.

Ab Anfang der 1980er-Jahre stieg die Zahl der Wandergesellen dann wieder. Es wurden zwei neue Handwerkervereinigungen gegründet, sogenannte "Schächte". Ihre Strukturen wichen stark von den alten Traditionen ab. Und erstmals wurden auch Frauen aufgenommen.

Heute zählen zu den größten Schächten in Deutschland die "Rechtschaffenen Fremden", die "Rolandsbrüder" und die "Freien Voigtländer". Aber auch wer keinem Schacht angehört, kann auf die Walz gehen. Und insgesamt ist die Zahl der Frauen und Männer auf der Walz sehr klein: Weniger als 0,5 Prozent der frischgebackenen Handwerker in Deutschland begeben sich auf Wanderschaft, ermittelte 2024 der Doktorand Markus Römer von der der Universität Bayreuth. Nur ungefähr 450 Personen befinden sich momentan im deutschsprachigen Raum auf Walz.

Rituale und Regeln

Wer auf die Walz geht, hält sich an jahrhundertealte Traditionen. Dazu gehört auch eine besondere Ausrüstung: Zimmerleute zum Beispiel tragen auf der Walz ein kragenloses, weißes Hemd, eine schwarze Hose mit weitem Schlag und einen Hut – das kann ein Schlapphut sein, ein Zylinder oder eine Melone (Koks genannt).

Wichtigster Begleiter des Gesellen ist der so genannte Charlottenburger: ein quadratisches Tuch, in dem der Wandergeselle Wechselwäsche, Zahnbürste und Werkzeug trägt. Auf den meist zu einer langen Wurst geknoteten Stoff kommt oben noch der Schlafsack.

Weitere Utensilien sind ein Wanderstab (Stenz) und das Wanderbuch, das auch Fleppe genannt wird. Darin sind alle Arbeitseinsätze des Lehrlings während seiner Wanderjahre aufgeschrieben und es ist gleichzeitig eine Art Reisetagebuch.

Wandergesellen auf dem Weg durch die Kölner Innenstadt

Wandergesellen mit "Charlottenburger" auf dem Rücken

Jede Vereinigung hat ihre eigenen Bräuche und Rituale. Oft wird der "Neue" von einem Altmeister von zu Hause abgeholt und mit einer Zeremonie in die Gesetze und Regeln des Lebens auf Wanderschaft eingeweiht. Während einer Probezeit werden die jungen Gesellen auf "Herz und Nieren geprüft" und erst dann auf ihren Weg geschickt.

Bei einigen Schächten dürfen die Reisenden danach drei Jahre und einen Tag lang nicht in ihre Heimat zurückkehren – nur in extremen Notlagen, etwa beim Tod oder der Krankheit eines Angehörigen. Kontakt zur Familie darf man zwar halten, aber es ist streng verboten, ein Handy dabei zu haben.

Bei allen Schächten findet man noch den Brauch des Vorsprechens: Kommt ein Wandergeselle in eine neue Stadt, so muss er beim dortigen Bürgermeister vorsprechen. Früher wurden bei diesem Vorsprechen auch Botschaften aus der Herkunftsstadt des Wanderers übermittelt.

Doch was genau wie gesprochen wird, zählt zu den großen Geheimnissen der Schächte und wird nur von Geselle zu Geselle weitergegeben. Das geschieht zum einen aus Tradition und zum anderen zum Schutz vor Missbrauch – damit sich niemand unrechtmäßig als Wandergeselle ausgeben kann.

Zwei Wandergesellen liegen auf der Wiese vor dem Reichstag in Berlin

Wandergesellen vor dem Reichstag in Berlin

(Erstveröffentlichung 2011. Letzte Aktualisierung 13.03.2025)

Quelle: SWR

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