Eine uralte Beziehung
Die Beziehung zwischen Sonne und Erde fasziniert die Menschen seit Jahrtausenden. Die Sonne wurde angebetet, gefürchtet, ihr wurde geopfert – den Sonnengöttern und Göttinnen wurde überall auf der Erde gehuldigt.
Auch im Christentum finden sich Spuren heidnischen Sonnenkults. Ostern, eines der ältesten Feste der Christenheit, hat seinen Ursprung in einem Sonnenfest. Das Wort "Ostern" geht zurück auf den Ostpunkt, an dem die Sonne zu Frühlingsanfang aufgeht.
Und selbst die Geburt von Jesus Christus hängt kalendarisch mit einem Sonnenfest zusammen: Die Christen machten den "Geburtstag der Sonne" – den Tag der Wintersonnenwende am 25. Dezember – auch zum Geburtstag von Jesus Christus.
Faszination Sonne
Vermutlich wurde auch der Turm zu Babel um 5000 vor Christus als astronomisches Observatorium gebaut. Die Astronomie, also die Sternenkunde, hat ihre Wurzeln in der Faszination, die von der Sonne ausgeht.
Die babylonischen Priester beschäftigten sich mit der Vorhersage von Sonnenfinsternissen. Sie erkannten, dass diese sich regelmäßig wiederholen und sagten bestimmte Konstellationen von Sonne, Mond und Sternen voraus. Astronomie, Astrologie und religiöse Verehrung verschmolzen oft miteinander.
Der Turm von Babylon – ein astronomisches Observatorium?
Magische Steine von Stonehenge
Zu den ältesten Kultstätten gehört Stonehenge, eine magische Ansammlung von gigantischen Gesteinsbrocken in Süd-England. Dort begannen um 2600 vor Christus Steinzeitmenschen damit, eine Kultstätte zu errichten. Sie ordneten die Steine so an, dass der Stand der Sonne und des Mondes im Lauf der Jahreszeiten verfolgt werden konnte.
Man vermutet, dass dieses Observatorium auch dazu diente, den Ackerbau zu planen und die Jahreszeiten aufzuzeichnen. Auch Mond- und Sonnenfinsternisse wurden mit seiner Hilfe vorhergesagt.
Aus der Anordnung der Steine in Bezug auf die Sonnenbahn am Himmel können Wissenschaftler heute rekonstruieren, dass die Baumeister von Stonehenge genaue astronomische Kenntnisse besessen haben müssen. So gibt es Peilsteine und Peillinien, die auf den Sonnenaufgang vor der Sommersonnenwende und den Sonnenuntergang vor der Wintersonnenwende hinweisen.
Stonehenge besteht aus drei Teilen, die zu verschiedenen Zeiten gebaut wurden. Bis heute ist es ein magischer Ort geblieben, der immer noch viele Menschen in seinen Bann zieht. Auch die Tage der Sommer- und Wintersonnenwende werden bis heute dort gefeiert.
Stonehenge – ein Ort voller Mythen
Sonnenkult bei den alten Ägyptern
Vielleicht war es ein Pharao, der als erster Mensch erkannte, dass alles Leben auf der Erde von der Sonne aufrecht erhalten wird. Schon der ägyptische Herrscher Echnaton (1365-1347 vor Christus) jedenfalls betete zur Sonne: "Du schufst die Erde nach Deinem Begehren, während Du allein warst. Menschen, alles Vieh, groß und klein; alles, was auf der Erde ist, was einhergeht auf seinen Füßen, alles, was hoch droben ist, was mit seinen Flügeln fliegt."
Für Echnaton war die Sonne ein Gott – der einzige übrigens, ein Gott, neben dem es keinen anderen gab. Die älteste überlieferte Sonnenverehrung in Ägypten stammt aus den Jahren 2600-2570 vor Christus: Zentrum war der Ort Heliopolis am Beginn des Nildeltas, eine der bedeutendsten Kultstätten des Reiches. Die Sonne wurde unter mehreren Namen verehrt: Atum, Chepri und Re-Harachte.
Es gab verschiedene Vorstellungen von der göttlichen Sonne im alten Ägypten. Unter anderem die, dass die Sonne eine rote, glühende Scheibe war, die in einem großen Schiff, der Sonnenbarke, den Himmel befuhr.
Mit dem Bau der Cheops-Pyramide und der großen Sphinx begann in der 4. Dynastie (ca. 2570-2450 vor Christus) die Hauptphase der Sonnenreligion. Die Bedeutung der Sphinx ist rätselhaft: Sie ist aus einem einzigen Felsen gehauen, ein Mischwesen zwischen Löwe und Mensch. Bis heute steht sie in der ägyptischen Wüste nahe den Pyramiden von Gizeh, dem einzigen noch erhaltenen antiken Weltwunder.
Zu den Weltwundern gehören die Pyramiden von Gizeh bei Kairo
Apollon als Spender des Lichts
Auch bei den alten Griechen wurde die Sonne verehrt: Hier hieß der Sonnengott Apollon. Skulpturen und Fresken zeigen ihn als schön, jugendlich und athletisch, ganz nach griechischem Geschmack.
Die Ursprünge des Apollon sind wesentlich älter als das klassische Griechenland selbst; archäologische Funde deuten darauf hin, dass der Beginn seines Kults noch vor der Bronzezeit begonnen haben muss.
Das Auftauchen dieses Gottes ist geheimnisumwoben. Schon im 8. Jahrhundert vor Christus war er in seiner griechischen Ausprägung bekannt und wurde bereits im 5. Jahrhundert vor Christus mit Prophezeiungen, Heilung, dem Auflösen des Familienfluchs, und mit der Gabe künstlerischer Inspiration (besonders Musik und Dichtung) in Zusammenhang gebracht.
Ebenso wie die Sonne selbst als Spenderin des Lichts angesehen wurde, war auch Apollon als Repräsentant der Sonne Spender des inneren Lichts. So steht auf einen Stein in Delphi gemeißelt: "Erkenne Dich selbst". Apollon galt also als Symbol des Bewusstseins.
Dieser Gott wurde nicht mit der Sonne am Himmel gleichgesetzt, sondern als Träger der Sonne verstanden, der sie täglich in seinem goldenen Wagen von Osten nach Westen zog. Diese Vorstellung ähnelt der der Ägypter.
Es gab jedoch noch einen anderen Sonnengott bei den Griechen: Helios (griech: "Sonne", "Osten"). Dieser raste mit einem goldenen Streitwagen über den Himmel. Angeblich wurden Helios und Apollon gemeinsam verehrt und etwa ab dem 5. Jahrhundert vor Christus verschmolzen ihre Gestalten zunehmend.
Der griechische Sonnengott Helios
Mithras als Herrscher des Himmels
Die Verehrung des Sonnengottes Mithras ist ein Kult, der sehr viel älter ist als das Christentum und aus Persien stammt. Der Mithras-Kult war eine der wichtigsten orientalischen Mysterienreligionen. Im 2. Jahrhundert nach Christus verbreitete sich der persische Glaube mit den römischen Heeren im gesamten römischen Reich.
In diesem Glauben verbreitete Mithras die Vorstellung eines Kampfes zwischen Gut und Böse; er herrschte über einen der sieben Himmel, der durch ein Tor aus Gold verschlossen ist. Seine Anhänger opferten Stiere und glaubten an die Auferstehung und das ewige Leben.
Der Mithras-Kult stand in Konkurrenz zum Christentum und war sogar noch weiter verbreitet. Nach ihrem Sieg über den Mithras-Kult jedoch bauten die Christen ihre Kirchen auf alten Mithrastempeln auf.
Es gibt eine Reihe von Ähnlichkeiten zwischen dem Mithraskult und dem Christentum: Mithras wurde wie Christus am 25. Dezember geboren. Auch bei seiner Geburt waren Hirten anwesend. Auch Mithras wurde beschenkt. Und die Gläubigen wurden durch eine Art Taufe in die Glaubensgemeinschaft aufgenommen.
Rekonstruierter Mithras-Tempel
Sonnenverehrung in Asien
Gemeinsame Wurzeln sollen Mithras jedoch auch mit der Sonnenverehrung des alten Indien verbinden. Forscher sehen Ähnlichkeiten zwischen den Religionen des Iran (Persien) und Indiens.
Auf indischer Seite: Der allwissende, überall anwesende Himmelsgott Varuna, der Sonnengott Surya, der gegen die Mächte des Chaos kämpfende Gottkrieger Indra. Und auf altiranischer Seite: der Himmelsgott Ahuraa, der Sonnengott Surijas. Und, in Indien wie in Persien, mit fast genau dem gleichen Namen: indisch Mitra und persisch Mithra.
Die alten Götterfiguren sind schon seit dem Beginn des sogenannten indischen Mittelalters weitgehend in den Hintergrund gedrängt. Stattdessen gab es nun drei mächtige Göttergestalten, die schon fast monotheistisch verehrt werden: Einer ist Vishnu – der liebende Erhalter und Ordner des Kosmos.
Vishnu bildet zusammen mit Brahma und Shiva die Götterdreiheit und gilt als Sonnengott und Welterhalter. Dieser Gott soll entweder auf einem Lotus (Zeichen der Reinheit) stehen oder auf dem Vogel Garuda fliegen oder auf einer Schlange liegen. Er hat vier Hände: Darin hält er Diskus, Meermuschel, Lotusblüte und Keule. Und er hat es gut, denn Vishnu hat eine Gefährtin, Lakshmi, die Göttin der Schönheit, des Glücks und des Reichtums.
Sonnengötter in Nordeuropa
Einen so ausgeprägten Sonnenkult wie zum Beispiel in Ägypten gab es in Nordeuropa nicht. Aber wie der Steinkreis von Stonehenge beweist, wurde auch unter den nordischen Völkern die Sonne verehrt.
Der römische Kaiser Julius Cäsar zum Beispiel glaubte, dass Sonne und Mond Hauptgottheiten der Germanen waren. Einen Zauberkult soll es gegeben haben, um die Sonne zum Scheinen zu veranlassen: Man stellte das Bild der Sonne dar und bewegte es über das Land; so entstand auch der Volksbrauch, zur Fastnacht brennende Scheiben zu werfen.
Andererseits gab es Freyr, einen Sonnengott und zugleich Gott des Friedens und der Fruchtbarkeit. Sein geweihtes Tier war der goldborstige Eber (Gullinbursti), auf dem er über die Felder ritt. Dieser Eber wurde als Sonne gedeutet und tauchte in der angelsächsischen Poesie auf.
In Skandinavien wurde Baldur verehrt. Die Sommersonnenwende, die astronomisch den Sommerbeginn markiert, ist traditionell die Mitte des Sommers: Der längste Tag, an dem die Sonne den Höhepunkt ihrer Entfaltung erreicht. Von da an "schwindet sie".
Der Glaube besagt, dass dieses Schwinden mythisch mit dem Schicksal Baldurs verknüpft ist, dem Sohn der Sonne. Er stirbt wie die Sonne auf dem Höhepunkt seines Lebens, wird jedoch mit der beginnenden Wiederkehr der Sonne im Winter wiedergeboren. So war der Mittsommer ein freudiges Fest und wurde tagelang gefeiert.
Oder Beltane: das zweitwichtigste Fest der Kelten, das am 1. Mai den Beginn der hellen Jahreshälfte feierte. Beltane bedeutet "die Feuer des Bel". Bel war ein Sonnengott und Beltane ist ein Feuerfest. Das heutige Maifeuer ist ein Überbleibsel dieses alten Brauchs.
Auch das Fest der Sommersonnenwende hat die Jahrhunderte überdauert – und wird bis heute gefeiert. Die Sonne hat ihre Magie also nicht verloren.
(Erstveröffentlichung 2003. Letzte Aktualisierung 17.01.2018)
Quelle: WDR